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Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Hände, die festhielten, die Stöße, die ihren Leib zerfetzten, die dumpfen Schmerzen, die zurückblieben.
    »Verflucht!«, schrie sie auf, und es war ihr gleich, dass sie fluchte.
    Gerne wollte sie noch schlimmere Worte schreien, wenn jene sie nur vor den Tränen bewahrten, wollte den fernen Gott anklagen, weil er sie im Stich gelassen hatte. Doch dann hörte sie Schritte, die sich näherten. Sie war nicht mehr allein.
    Caterina spürte einen Atem in ihrem Gesicht, erspähte einen Schatten. Ihr ganzer Leib spannte sich an, erwartete, dass sie gepackt würde, doch auf wen sie da in der Dunkelheit auch gestoßen war – er hatte anderes im Sinn.
    »Was machst du hier?«
    Als sie erkannte, wem die Stimme gehörte, atmete sie heftig aus vor Erleichterung. Keiner von der Mannschaft, sondern Gaspare.
    Sie hatte in den vielen Stunden, da sie bei ihm gehockt war, von seiner Mutter erfahren und ihm das Schreiben beigebracht hatte, die wilde Furcht vor ihm verloren, wenngleich nie die Scheu. Erst jetzt, in ihrer Erleichterung, dass er es war, auf den sie gestoßen war, erkannte sie, wie vertraut ihr seine Gegenwart war. Gewiss, er schüchterte sie ein; sein Verhalten war oft unergründlich. Wenn sie in sein Gesicht sah, war’s ihr oft, als würde sie einen Toten anblicken, dessen Verwesungsgeruch nur allzu schnell auf sie schwappen würde, käme sie ihm zu nahe. Aber zugleich ... zugleich war da jene Zuversicht, dass er ihr nichts Schlimmes antun würde, dass sie bei ihm sicher war, nicht nur vor anderen – vor allem auch vor ihm selbst.
    »Also«, drängte er, »was machst du hier?«
    »Die Türe war offen. Akil hat offenbar vergessen ...«
    Sie hielt inne, zu spät begreifend, dass sie den Knaben mit solchen Worten vielleicht in Schwierigkeiten brachte.
    »Was machte es auf einem Schiff wie diesem Sinn, euch einzusperren«, murmelte er da jedoch schon leichtfertig.
    Sie zuckte mit den Schultern, verlegen nun. Was immer ihn hierher getrieben hatte – vielleicht ein nächtlicher Rundgang, vielleicht Unruhe, die ihn nicht schlafen ließ –, schien ihn nun nicht zum Gehen zu veranlassen; er blieb stehen und machte zugleich keine Anstalten, das Schweigen, das sich zwischen ihnen ausbreitete, zu durchbrechen.
    Caterina zögerte. Vielleicht sollte sie einfach zurückkehren in ihr enges, kleines, dumpfes Gefängnis. Fast sehnte sie sich nach Ray. Obgleich er all diese Zerrissenheit in ihr ausgelöst hatte, seine Nähe ihr ebenjene unerträgliche Wärme aufgezwungen hatte, so hatte sie doch mit einem Male das Gefühl, es wäre vielleicht ... gesünder, bei ihm zu sein, als bei diesem steifen, unheimlichen Gaspare.
    »Hast du geweint?«, fragte er da unvermittelt.
    »Ich ... nein, gewiss nicht!«
    »So, so«, murmelte er, »ich dachte, ich hätte ein Schluchzen gehört.«
    »Nein«, bekräftigte sie, »nein, ich habe nicht geweint.«
    Sie hatte weinen wollen, aber sich so sehr vor dem geängstigt, was ihre Tränen hochspülen mochten, dass sie es sich nicht gestattet hatte.
    »Ich sollte ... zurückgehen«, murmelte sie, als von ihm wieder nichts anderes kam als jenes dumpfe Schweigen. Er nickte; zumindest glaubte sie, das zu sehen. Doch kaum drehte sie sich von ihm fort, so fragte er: »Hat dir jemand etwas getan?«
    Erstaunt fuhr sie wieder herum. »Wie kommst du darauf? Du hast doch deinen Männern verboten, mich ...«
    Sie konnte es nicht aussprechen.
    »Ich dachte nur«, erwiderte er, »weil du so ... aufgebracht schienst.«
    Bislang hatte sie stets geglaubt, dass er so offen mit ihr reden würde, weil sie ein Niemand war, über den er hinwegsah. Erst jetzt ging ihr auf, dass er trotz seines toten Blicks die Regungen der Menschen zu erforschen trachtete, nicht nur das, was sie willentlich von sich preisgaben, sondern auch, was ihre unwillkürlichen Gesten zeigten. Vielleicht war er nur darum selbst so reglos, so verschlossen, weil er sich ängstigte, ein anderer könne diese Gabe teilen und in seinen Tiefen bohren.
    »Nein«, bekräftigte sie, »nein, man hat mir nichts getan.« Und dann fügte sie plötzlich hinzu, nicht gewiss, woher sie den Mut dazu nahm: »Heute zumindest nicht.«
    Kaum merklich trat er einen Schritt zurück. Ob es ihn jemals gereut hatte, dass er sie seiner Mannschaft vorgeworfen hatte? Ob er es überhaupt noch wusste, jemals ernsthaft darüber nachgedacht hatte?
    »Warum«, hörte sie sich fragen, »warum warst du nicht dabei ... damals?«
    Dass sein Gesicht im Dunkeln verborgen war, machte es ihr

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