Die Tochter des Ketzers
mit denen der Vater ihr das Schreiben beigebracht hatte, gab es hingegen nicht auf dem Schiff. Schließlich hatte sie den Einfall, von jenem Sand zu nehmen, mit dem der Hohlraum im Schiffsbauch unterhalb des Mastes gefüllt war und in dem manche Kiste lagerte, diesen Sand auf den Tisch zu streuen und mit einem Stäbchen die Buchstaben einzuritzen.
»Sag mir einen Namen, damit ich ihn aufschreiben und dir danach erklären kann«, forderte sie ihn auf.
Gaspare überlegte eine Weile, verzog unwillig die Stirne, als reute ihn der Entschluss, sich von dem Mädchen etwas lehren zu lassen.
»Leonora«, sagte er schließlich. »So hieß meine Mutter.«
Caterina schrieb zuerst den Namen jener Frau, später die ihrer beiden Schwestern, Bianca und Bonaventura.
»Hast du ... hast du deine Tanten gut gekannt?«, fragte sie.
Wieder furchte er die Stirne, als würde er sie gleich für solch eine taktlose Frage rügen. Doch dann platzte es aus ihm heraus: »Ich habe sie mein Leben lang nie gesehen. Ich habe ... sie ... meine Mutter nur von ihnen sprechen hören. Sie hat sie vermisst, obgleich sie als Kinder stets gestritten hatten.«
Er blickte starr auf die Buchstaben, die sie gemalt hatte.
»Ein A ist das. Zweimal kommt’s in Bianca vor, und das hier ist ein I ...«
»Meine Mutter hatte bereits meinen Vater geheiratet, als die Genuesen Lerici einnahmen«, fiel er ihr ins Wort, »in Pisa war sie sicher. Ihre Schwestern hingegen hat man nach Genua verschleppt, wo die eine geheiratet hat und die andere die Kurtisane eines Bischofs wurde. Meine Mutter hat sich unendlich dafür geschämt.«
»Es war doch nicht ihre Schuld!«
»Natürlich nicht!«, erklärte er streng. »Aber fortan war sie entehrt. Meine Mutter hat um beide Schwestern getrauert, als wären sie tot. So wie ich wohl tot bin für sie.«
Er tat eine unwillige Bewegung mit der Hand, als wollte er die Erinnerung verscheuchen, und tatsächlich schien es ihm zu gelingen, denn er wandte sich nun aufmerksam den Buchstaben zu.
Mit der Zeit lernte Caterina, mit seinen wechselnden Launen umzugehen, auch damit, dass nach Augenblicken vollkommener Beherrschung plötzlich etwas Wehmütiges, Sehnsuchtsvolles durchblitzte, dass er sie stundenlang wie eine Fremde behandelte, um unvermittelt eine Vertraulichkeit zu erzeugen, die zu dem starren, kalten Mann nicht zu passen schien. Erst nach einer Weile begriff sie, dass beides kein Widerspruch war. Nie hätte er einem seiner Männer leichtfertig sein Innerstes dargeboten. Sie hingegen stand ihm weder nahe, noch diente sie ihm aus freien Stücken; er musste nicht um ihre Freundschaft werben noch ihren Gehorsam einfordern, wo sie doch zu machtlos war, um jenen verweigern zu können.
Es war nicht sie, der er Nähe schenkte, sondern nur sich selbst Augenblicke der Gefühlsanwandlung, gerade weil sie ihm nicht nah war und nicht nah sein wollte. Furcht und Scheu und das Wissen um das, was ihr seinetwegen widerfahren war, hielten sie davon ab, auch der anhaltende Ekel vor seinem Körper – aber sie lauschte aufmerksam, was er zu erzählen hatte. Es deuchte sie gefahrloser für das Wohl der eigenen Seele, sein Wesen zu erforschen und die vielen Narben, die es zeichneten, als die eigene Vergangenheit. Auch war ihr Dienst mit manchen Annehmlichkeiten verbunden, denn in den Tagen, da sie ihm das Schreiben beibrachte, lud er sie oft ein, das Mahl mit ihm zu teilen, so wie er ihr schon einmal vom Zuckerrohr gegeben hatte, und obwohl es ihr anfangs schwerfiel, in seiner Gegenwart mit gutem Appetit zu essen, drängte ihr hungriger Magen alsbald auf sein Recht und ließ sie zulangen.
Nicht üppig war, was seine Tafel hergab, und doch um vieles genießbarer als der ständige Schiffszwieback: gepökeltes Rind- oder Schweinefleisch, ein Brei aus Bohnen, Linsen und Sardinen, Fladenbrote, die mit Zwiebeln und Knoblauch in Oli- venöl gebacken wurden. Einmal wurde auch eine Frucht serviert, die man vor dem Verzehr schälen musste und die sauer schmeckte.
»Es ist gut, auf hohe See Orangen mitzunehmen«, erklärte ihr Gaspare. »Manche Seeleute werden so krank, dass ihnen das Zahnfleisch fortwährend blutet und ihre Haut von einem grässlichen Ausschlag befallen wird, doch sobald man diese Früchte isst, ist man geheilt.«
Auch getrocknete Pflaumen wurden gereicht, und jene Mandeln, in deren Milch seine Mutter zu baden pflegte.
»Ich glaube, er hat seine Mutter sehr geliebt«, sagte sie zu Ray, um mit jemandem zu besprechen, was sie von
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