Die Tochter des Ketzers
sie traf, selbst bestimmen. Sich nicht nur von Ray in die Fluten stoßen lassen. Sich nicht nur von Ramón befingern lassen. Sich nicht nur eine ganze Nacht über fesseln lassen. Nicht nur zuhören und zuschauen, wie Ray blutig gepeitscht wurde.
»Du kannst mich gerne töten!«, forderte sie ihn auf, und gleichwohl sie sich unter seinem harten Griff kaum rühren konnte, hatte sie sich in all den letzten Wochen nie so machtvoll gefühlt, nie so fähig, einem anderen zusetzen zu können. Sie konnte sich eigene Qualen nicht ersparen. Aber sie konnte ihn quälen. »Ja, töte mich, und vielleicht kann ich dir sogar vergeben! Aber es ist nicht gerecht, was mir passiert. Es ist nicht gerecht.«
Sie hielt ihre Augen geschlossen. So fühlte sie zwar, dass Gaspares Hände sich von ihren Handgelenken lösten, wusste aber nicht, wo er als Nächstes zupacken würde.
Vielleicht würde er ihr an die Kehle gehen. Vielleicht würde er sie mit seinen kalten Händen erwürgen.
Corsica, 251 n.Chr.
Das Geschrei, das vom Atrium her tönte und das Gespräch zwischen Thaïs und mir störte, stammte von Eusebius, dem Kaufmann aus Carthago, Julias Vater, von dem sie gesagt hatte, dass er ein Feigling wäre. Ich hatte ihn mehrmals gesehen, aber nie sonderlich wahrgenommen. Gerötet war meist sein Gesicht, er war ein stiller Mann – nur heute nicht. Sein Mund gab klagende Laute von sich. Mit jedem Geräusch, das er tat, schien auch die Lebenskraft aus ihm zu entschwinden, denn wiewohl offenbar gewillt, Gaetanus aufzusuchen, schaffte er es nun nicht über das Atrium hinaus. Seine Schritte wurden anfangs immer kleiner, dann blieb er stehen, und ich erwartete, dass er alsbald auf die Knie niedersinken würde.
»Wo ist Julia?«
Wohingegen Thaïs in ausreichendem Abstand stehen blieb, war ich zu ihm hingetreten, suchte seinen Blick, suchte die Bestätigung, dass das, was sein Anblick und seine Laute verhießen, nur auf einem Irrtum beruhte, dass es aus der Welt geschafft werden könnte, wenn man es nur lange genug leugnete. Ich fand jedoch nichts, was Hoffnung machte, ich fand nur Entsetzen.
»Ich musste es tun, verstehst du?«, klagte Eusebius, ohne auf meine Frage zu antworten. »Ich musste! Und wenn ich auf ewig mein Heil verlöre – ich habe doch meinen Sohn, er ist so klein, so krank, er kann nicht leben ohne mich. Ich bin nicht der Einzige, es fallen so viele vom Glauben ab.«
»Wo ist Julia?«, wiederholte ich.
Erst jetzt schien er mich überhaupt zu bemerken, wiewohl er mich die ganze Zeit über angestarrt hatte. »Bist du ... bist du auch ...«, stammelteEusebius.
»Nein, ich gehöre nicht zu den Christen«, sagte ich rasch. Was für ein absonderlicher Gedanke! »Aber ich kenne deine Tochter.«
Er schluckte schwer. Seine Augen schimmerten feucht, als würden Tränen darin stehen, obgleich es sich für einen Mann nicht ziemt zu weinen.
»Sie wurde festgenommen«, sagte er, so hoffnungslos, als wäre damit ihr Schicksal nicht nur vorläufig, sondern endgültig entschieden. »Sie ist verhaftet worden ... Gaetanus hat mit ihr gesprochen. Er hat versucht, sie zu bewegen, den Göttern zu opfern – oder es wenigstens einen der Sklaven in ihrem Namen tun zu lassen. Schon allein dadurch würde sie den Opferschein erhalten.«
»Aber sie hat sich geweigert, nicht wahr?«
Meine Stimme klang erschreckend kalt – und schien ihn zu fällen. Ja, er fiel auf seine Knie, brach einfach zusammen, und niedersackend streckte er seine Arme nach mir aus, packte mich, vergrub seinen Kopf an meinem Bauch, ich konnte seinen heißen Atem spüren.
»Sie hat keine Bande, die sie an diese Welt flechten, so wie ich«, stammelte er. »Die hatte sie nie. Schon ... schon in Carthago war sie bereit, für ihren Glauben zu sterben. Selbst große Männer der Gemeinde wie Cyprian zogen die Flucht vor, als der Kaiser das Edikt erließ – aber sie, sie wäre so gern geblieben, hätte ihr Zeugnis abgelegt, bis zum Äußersten. Allein ihretwegen habe ich Carthago verlassen, habe gehofft, dass es auf einer felsigen Insel wie Corsica sicherer wäre. Wenn ich sie nicht ge- waltsam mit mir aufs Schiff genommen hätte, wäre sie mir nie gefolgt.«
Wie starr hatte ich seine Berührung über mich ergehen lassen. Doch nun wurde sein Griff immer fester, deuchte mich nicht mehr nur Halt suchend.
»Lass mich los!«, rief ich, erschrocken darüber, dass meine Stimme nicht betroffen klang, sondern unwirsch. Nicht allein Scheu und Unbehagen leiteten mich, sondern Ekel – und
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