Die Tochter des Ketzers
die Ahnung von Grauen, das von ihm auf mich überschwappen würde, wenn er mich noch länger hielte.
Doch er ließ mich nicht los. Er schien es aus mir herauspressen zu wollen – jenes Fünkchen Hoffnung, das er noch nicht aufgeben wollte.
»Ich weiß nicht, wann sie begonnen hat, diese Welt so zu verachten«, begann Eusebius wieder zu sprechen. »Nein, nicht die ganze Welt. Sie liebt ihren Bruder, aber sie muss nicht für ihn sorgen. Ich ... ich habe sie angefleht: Sie müsse doch gar kein Fleisch opfern, sagte ich; sie müsse nichts davon essen und auch nicht den Opferwein auf das Wohl des Kaisers und der Götter trinken. Es heißt ... es heißt, es würde Gaetanus schon reichen, wenn sie nur bereit wäre, Weihrauchkörner auf den Feuerherd zu streuen.«
Er ließ nicht ab von mir, aber er hob nun den Kopf, und als ich in sein gefurchtes Gesicht blickte, da sah ich es vor mir: jenes Bild, wie Eusebius verzweifelt auf sie einredete und wie sie ihn aus den harten blauen Augen anstarrte, trotzig, hochmütig, fordernd, verächtlich, stolz, siegessicher. Sie war so vieles, von dem sich nicht sagen ließ, ob es eine Schwäche oder Stärke war, ob es einen für sie einnahm oder vielmehr abstieß. Ob er sie gepackt hatte, an den Händen gezogen, an den Haaren? Ich konnte Eusebius das nicht so recht zutrauen, jedoch musste er verzweifelt gewesen sein. So verzweifelt wie jetzt.
»Aber das tut sie nicht«, stellte ich fest.
»Auf den Knien habe ich sie angefleht. ›Tochter, erbarme dich meiner grauen Haare‹, habe ich gesagt, ›erbarme dich deines Vaters, wenn du mich noch für wert hältst, dein Vater zu heißen!‹ Sie hat den Kopf geschüttelt.«
Sein Griff wurde wieder fester, als wäre allein ich es, die ihn vor dem Ertrinken bewahrte.
»Lass mich los!«
»Mein armes, armes Kind ...«
»Ich habe gesagt, du sollst mich loslassen!«
»Mein armes ...«
Das Atmen fiel mir schwer, ich hatte das Gefühl zu ersticken. »Sie hat kein Mitleid verdient!«, rief ich. »Sie hat sich aus freien Stücken entschieden!«
»Weißt du nicht, was sie mit ihr tun werden? Sie werden sie ...«
»Ich will es nicht hören!«
Wieder hob er den Kopf – und diesmal sah er mich überrascht an. Erstmals schien er überhaupt zu gewahren, wen er vor sich hatte – in jenem Augenblick, da ich es beinahe vergaß. Ich dachte nicht mehr daran, dass er ein reicher Kaufmann war und ich nur Sklavin, dass er ein Gast war und ich ihn zu ehren hatte. Ich sah nur einen Menschen vor mir, der mich beharrlich festhielt und mir – was noch schlimmer war – etwas sagen wollte, was zu hören ich nicht ertragen würde. Da hieb ich ihm die Hände auf die Brust und stieß ihn von mir fort.
Kapitel XVI.
Malta, Frühsommer 1284
Gaspares Stimme floss in den Raum, verbreitete sich in jede Ritze, ohne auf Widerstand zu stoßen. Sie erzeugte kein Echo, Wort für Wort verflüchtigte sich; doch weil immer wieder ein neues nachkam, gingen sie nicht aus. Caterinas Kehle war noch rau. Nicht weil er sie tatsächlich gepackt, nicht weil er tatsächlich zugedrückt hatte – eher der Ahnung wegen, er könnte es tun.
»Mein Stiefvater hat meinen Vater getötet«, begann er plötzlich.
Er hatte sie losgelassen, viel langsamer, zögerlicher, als er sich auf sie gestürzt hatte. Immer noch hielt sie die Augen geschlossen, sie hatte nicht zugesehen, wie er wieder zu sich kam, sich erhob, sich steif auf seinen Stuhl setzte. Erleichterung durchflutete sie – nicht nur, weil er sie nicht getötet hatte, sondern weil er sie nicht länger berührte.
»Ja, mein Stiefvater hat meinen Vater getötet«, wiederholte er, und da erst machte sie die Augen auf. Er starrte vor sich hin, nicht länger zornig, nur erstaunt. Sie konnte nicht entscheiden, was ihn erstaunte, dass er sie geschlagen hatte oder dass er diesen Satz ausgesprochen hatte. Es folgten weitere Worte, jedes einzelne zögerlich, als wollte er es eigentlich für sich behalten, zugleich so selbstverständlich, dass er sich dem Reden nicht entziehen konnte – und sie sich nicht dem gebannten Zuhören.
»So war es. Ich kann es nicht beweisen, aber ich glaube es fest. Beide stammten nicht aus dem Adel, sondern nur aus Patrizierfamilien. Aber in Genua, woher mein Stiefvater kommt, und in Pisa, wo mein Vater aufwuchs, spielt das keine große Rolle. Meine Mutter wurde in Lerici geboren, einer umkämpften Stadt. Lange Zeit befand sich Lerici im Besitz von Pisa, doch dann wurde sie von Genua in einem grausamen Krieg
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