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Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Seite. Man machte sich einen Spaß daraus, die Söhne reicher Familien zu rauben und den Erzfeinden Lösegeld abzupressen. Doch mich kaufte niemand frei. Onorio versprach meiner Mutter, alles für mich zu tun, um ihr am Ende traurig mitzuteilen, dass ich in einem der Gefängnisse zu Tode gebracht worden sei. Er stand ihr in der Trauer bei, und am Ende heiratete sie ihn. In den ersten Jahren meiner Haft habe ich jeden Tag zur Jungfrau Maria gebetet, weil sie die Stadtpatronin von Pisa ist. Ich habe zu ihr gebetet, sie möge mir die Freiheit schenken. Doch das hat sie nicht getan. Dann habe ich aufgehört zu beten und mir die finsteren, stinkenden, heißen Tage vertrieben, da ich Hunger litt und Ratten an meinen Zehen kauten, wenn ich sie nicht rechtzeitig erschlug, indem ich Rache schwor. Ich weiß nicht, wann ich sie üben werde. Ob in diesem Leben oder im nächsten. Aber ich werde es tun, wenn die Zeit reif ist. Magst du auch sagen, dass es keine Gerechtigkeit gibt, ich werde sie dennoch ertrotzen.« Er machte eine kurze Pause. »Was dir geschehen ist, tut mir leid. Heute 364 würde ich es nicht mehr zulassen, denn du zeigst Mut und Willensstärke, und das gefällt mir. Leider kann ich’s nicht rückgängig machen. Genauso wenig wie ich Onorio all die Jahre, die er als Gatte meiner Mutter nun schon lebt, nicht wieder rauben kann. Aber eines Tages werde ich ihn töten. Ich werde ihn töten.«
    Er wiederholte den Satz noch einige Male, gleich so, als würden seine Worte dann unwiderruflich werden.
    Doch schließlich verloschen sie, flackernd wie ein zitterndes Flämmchen, das im Windhauch immer kleiner wird und schließlich verglimmt. Er schwieg lange.
    »Die Jahre im Kerker müssen bitter gewesen sein«, sagte Caterina irgendwann leise.
    Eigentlich hatte sie nur Verständnis für sein Leid bekunden wollen, keine Anteilnahme. Zu fremd war ihr die Erfahrung, über die er sprach – zumindest solange er es tat. Doch dann, in der Stille, hatte sie plötzlich an ein anderes, ähnliches Schweigen denken müssen, gewiss nicht so dunkel, so beklemmend, so schmutzig, so einsam wie das, das er im Kerker erlebt hatte – aber nicht minder leer und irgendwie beängstigend.
    Das Schweigen ihrer Mutter Félipa, die sich den Befehlen ihres Mannes gefügt hatte und die Welt gleich ihm als Sündenpfuhl, nicht als Ort der Sehnsüchte empfunden hatte. Ihr eigenes Schweigen, wenn sie dem Vater lauschte, seinen Ausführungen über das Leben und dass es gefährlich war. Er hatte recht gehabt, so recht, das wusste sie heute besser als je zuvor. Und doch dachte sie, dass er sie zugleich belogen und um das betrogen hatte, was auch Gaspare fehlte, um jene sanfte, vorsichtige, behütete Begegnung mit der Welt. Sie waren beide von dieser Welt fortgesperrt gewesen, um dann brutal hineingestoßen zu werden, ohne Zeit der Gewöhnung, ohne Zeit, an Gefühlen erstmals zu schnuppern. Ohne Mittelmaß hatten diese Gefühle sie getroffen, hatten sich mit all dem Starken, Wuchtigen verbün- det, das die rohen Schicksalsmächte, die Feinde des Alltäglichen, zusammenzubrauen imstande sind.
    Die Sonne, die Gaspare getroffen haben musste, als er endlich freigelassen wurde, war wohl nicht einfach nur warm gewesen, sondern so grell, dass sie ihn fast blind machte. Und die Weite des Himmels, in die sie gestarrt hatte, als sie zum ersten Mal im Freien stand – sie hatte keine Freiheit verheißen, nur beklemmende Unendlichkeit.
    »Der Kerker«, sagte Gaspare plötzlich. »Der Kerker war nicht das Schlimmste, was er mir angetan hat. Nein, nicht das Schlimmste. Onorio weiß gar nicht, was er noch angerichtet hat.«
    »Was denn?«, fragte sie. »Was?«
    Akil hatte Ray in die kleine Kammer im Vorderschiff geschleift. Wortlos brachte er Caterina dorthin, als sie von Gaspare kam. Er musste ihr nichts von Rays Zustand erzählen – sie konnte es mit eigenen Augen sehen: Der ganze Rücken glich einem riesigen Batzen rohen, blutigen Fleisches, das sich verkrustete, langsam schwarz wurde. Es roch säuerlich, aber vielleicht kam das auch vom Angstschweiß, der nun langsam auf der Stirn eintrocknete und eine weiße, salzige Schicht hinterließ. Die Ohnmacht schien ihn nicht gänzlich von der Tortur erlöst zu haben; seine Augen waren zwar geschlossen, aber über seine aufgebissenen Lippen drang ein Stöhnen.
    Caterina kniete sich neben ihn. »Weißt du, was zu tun ist, Akil?«, fragte sie besorgt. »Du hast gesagt, dass du in deinem Land die weisen Männer beobachtet

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