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Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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erobert. Um meine Mutter wurde ebenfalls gekämpft – nicht von zwei Stadtstaaten, sondern von den beiden Männern, die aus diesen stammten. Mein Vater war siegreich, er nahm sie zur Frau. Wenig später wurde ich geboren, und ich wuchs – wie jeder Pisaner – mit dem Wissen auf, dass Genua zu hassen war.«
    Redend blickte er an ihr vorbei, ähnlich wie in vergangenen Stunden, da er über seine Mutter Leonora gesprochen hatte.
    »In den Jahren meiner Kindheit, so erfuhr ich später, ging ein Riss durch Genua«, fuhr er fort, »ein Teil der Familien, die Spinolas und die Dorias, waren ghibellinisch, sie wollten einen Kaiser aus dem Stauferhaus. Die Fieschi und die GrimAkil hingegen waren guelfisch, sie unterstützten die Weifen, was gleichsam hieß, auch Charles d’Anjou. Letztere setzten sich durch und bestimmten die Verbannung meines Stiefvaters Onorio Balbi, weil jener der ersteren Partei angehört hatte. Damit begann mein Unglück. Denn Onorio wandte sich, wie viele seinesgleichen, die von der Heimat verstoßen wurden, Pisa zu, paktierte also mit deren größtem Feind. Und Pisa nahm sie gerne auf, die verstoßenen Genuesen, weil es hoffte, es könnte damit Zwietracht schüren. Das bedeutete, dass Onorio in die Nähe meiner Mutter kam, der einst umworbenen, aber verlorenen Braut, glücklich an der Seite ihres Gatten, glücklich als meine Mutter ...«
    So sehr hörte Caterina auf seine Stimme, dass sie fast taub für andere Geräusche wurde. Erst nach einer Weile begriff sie, dass es diese nicht gab. Die Peitsche schwieg, Ray auch. Kurz ängs- tigte sie der Verdacht, dass er womöglich nicht nur seine Strafe ausgestanden hatte, sondern diese ihn das Leben gekostet hatte. Erst jetzt gewahrte sie den eigenen Schmerz in ihrem Gesicht, griff hoch, fühlte ihre geschwollene Wange, dort, wo Gaspares Faust sie zweimal getroffen hatte. Ihre Haut fühlte sich dick und weich an, sicherlich war sie rot, vielleicht sogar schon blau gefärbt.
    »Ich weiß nicht, wie Onorio es anstellte, aber eines Tages war mein Vater verschwunden. Er war ja Kaufmann, er verließ das Haus und kehrte nicht wieder zurück. Drei Jahre wartete meine Mutter auf ihn, und ich mit ihr. Dann fügte sie sich der Ahnung, dass einer der Sümpfe, in die das Land um unsere Stadt immer mehr versank, ihn verschlungen haben müsste wie manch anderen auch. Ich freilich konnte mir nicht vorstellen, dass mein Vater nicht um die Gefährlichkeit der Sümpfe wusste. Von Kindheit an hat jeder Pisaner gelernt, dass wir uns von ihnen fernhalten müssen, weil dort die Mücken sind – und mit ihnen jene schreckliche Krankheit, die das Fieber bringt. Nein, ich glaube nicht, dass mein Vater einfach so verschwunden ist. Ich glaube, er ist ermordet worden.«
    Caterinas Zungenspitze fuhr in einen Mundwinkel, leckte das Blut, das dort verkrustet war. Es war die einzige Regung, die sie sich erlaubte. Sie war sich gewiss – würde sie nicken, geschweige denn eine Frage stellen, so würde sein Redefluss abreißen. Er würde sie anblicken, und vielleicht würde er gewahren, dass dieses Mädchen ihn erneut zu etwas trieb, was er nicht wollte.
    Solcherart aber blieb er in jenem kurzen Augenblick gefangen, der geprägt war von Gewalt, von Schonungslosigkeit – und Offenheit.
    »Und so wie meinen Vater hat Onorio auch mich, der ich dessen einziger Erbe war, beiseiteschaffen lassen. Auf diese Weise konnte er sich nicht nur meine Mutter aneignen, sondern auch das ganze Vermögen, das mein Vater hinterlassen hatte. Ich kann mich noch erinnern an jenen letzten Tag, da ich in Pisa weilte. Ich habe es seitdem nicht mehr gesehen, und ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich es manchmal vermisse. Die Piazza dei Miracoli mit dem Dom Santa Maria Assunta, dem Baptisterium, wo ich getauft worden bin, und jenem schiefen Glockenturm. Es heißt, es gibt Pläne, weiter daran zu bauen, gleichwohl er sich so erbärmlich nach Südosten neigt ... Nun, ich weiß es nicht, denn ich war seit Ewigkeiten nicht mehr dort. Onorio fädelte es so ein, dass ich von einem Freund unserer Familie mit einer Botschaft zum Hafen geschickt wurde. Auf dem Weg dorthin erwarteten mich die Häscher. Aus Genua hatte er sie bestellt. Wiewohl von der Stadt verstoßen, nützte er seine Beziehungen dorthin, um mir zu schaden – ohne Anstand, ohne Rückgrat. Ich wurde entführt und in den Kerker geworfen, nicht weil ich ein Verbrechen begangen hatte, sondern weil ich Pisaner war. Solches geschah oft – auch auf anderer

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