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Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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vorbei«, murmelte sie. »Es ist vorbei ... du hast es ausgestanden.«
    Langsam strich sie über sein verschwitztes Haar, auch über seine Hände. Er erbebte, als würde er weinen, doch als er sprach, war da kein Schluchzen, nur Grimm ... und Ohnmacht.
    »Es war so schrecklich«, nuschelte er. »So schrecklich. Wie sie mich festgehalten haben. Nicht nur einer. Allesamt. Ich konnte gar nicht ihre Hände zählen, es waren so viele, so viele. Und keine andere Aufgabe schienen sie zu haben, keinen Zweck zu erfüllen, als mir wehzutun. So weh. Ich dachte, ich müsste sterben, nach dem ersten Schlag schon dachte ich das. Kein Mensch überlebt das, dachte ich, ich auch nicht. Aber es ging weiter, immer und immer wieder. Oh, dieses grässliche Zischen. Und sie lachten, manche von ihnen lachten. Sie feuerten sich gegenseitig an!«
    Sie hörte zu, bis er geendigt hatte. Sie unterbrach ihn nicht, so als gingen seine Worte an ihr vorbei. Dann freilich, erst in der Stille, trafen sie sie mit ganzer Wucht, anstatt sich lautlos zu verflüchtigen. Und Bilder waren da. Gefühle. Vom harten, rauen Holz, auf dem sie lag, den Schiefern, die ihre Haut stachen, der Geruch nach Teer, übermächtig und erstickend. Ihre Schreie, so erbärmlich. In ihrer Erinnerung klangen sie kaum lauter als das Quietschen einer Maus.
    »Das sagst du mir?«, fragte sie, nicht, um ihn anzuklagen, einfach nur, um die Stille zu unterbrechen und was diese heraufbeschwor. »Ich habe Schlimmeres erlebt. Und es weniger verdient als du.«
    Rays Nacken krümmte sich, erbebte wieder. Als er diesmal weitersprach, war sein Grimm von Scham belegt.
    »Es tut mir leid ... es tut mir so leid ... Aber vielleicht hast du mehr Kraft als ich. Ich habe meine Kraft verloren auf diesem verdammten Schiff. Du weißt, wofür du lebst, während es mir einzig ums Überleben ging. Du willst deinen Schatz bewahren.«
    Caterina zog unwillkürlich ihre Hand zurück. In all den letzten Stunden hatte sie nicht mehr an die Reliquie gedacht, die sie – nach der überstürzten Flucht – schon verloren wähnte. Nun, da sie unfreiwillig zurückgekehrt war auf das Schiff, befand sich die Reliquie wieder in ihrem Besitz. Caterina versuchte sich zu freuen, doch diese Freude war lahm. »Gaspare hat versprochen, uns freizulassen. Und ich bin sicher, er wird es trotz allem tun. Nicht heute. Nicht hier. Aber irgendwann.«
    »Bevor oder nachdem er uns totgeschlagen haben wird?«, fragte Ray bitter.
    »Du hast ihn mit deiner Flucht herausgefordert!«
    »Und doch hat er kein Recht, uns hier als Sklaven zu halten! ... Ich zahl’s ihm heim, ich schwöre dir, ich zahle ihm das heim!«
    Das Reden schien ihm schwerzufallen, und doch hielt er an seinem Racheschwur fest, offenbar von Stolz getrieben – von kindischem, unnützem Stolz, wie es sie jäh deuchte.
    »Ach Ray«, seufzte sie. Sie wollte ihn schelten und klang stattdessen mitleidig, als sie fortfuhr. »Wie willst du dich denn rächen? Du bist nicht länger Herr deiner Taten. Du bist Gaspare ausgeliefert ... so wie ich. Du machst es nicht besser, wenn du daran verzweifelst.«
    Er antwortete nicht darauf, stöhnte nur. Wieder griff sie nach seinen Händen, streichelte über sein Haar, ratlos, unsicher; sie wusste nicht, was sie tun sollte, um ihm seine Lage leichter zu machen, und als er auf ihre Berührung nicht reagierte, ließ sie ihn schließlich los, richtete sich auf, wandte sich ab.
    »Geh nicht weg!«
    Sie dachte, sie habe ihn falsch verstanden, hielt verdutzt inne.
    »Geh nicht weg!«, wiederholte er da jedoch flehend. »Ich bin doch auch bei dir geblieben ... an jenem Tag!«
    Da kniete sie sich wieder zu ihm, reichte ihm die Hand, fühlte diesmal, wie er seine Finger darum schlang, sie festhielt. Sie erwiderte den Druck ohne Zögern; das Unbehagen, das sie befiel, wenn Gaspares Körper ihr zu nahe kam, war ihr in Rays Gegenwart fremd, selbst jetzt, da er von solch grässlichen Wunden gezeichnet war. Ja, an dem Tag, von dem er sprach, war ihre Welt zersplittert gewesen, und Rays Wärme war das Einzige gewesen, das nicht Teil der Zerstörung war. Auch jetzt war die Welt noch zersplittert – aber sie hatte eine geheime Lust entdeckt, nach diesen Splittern zu greifen, sich daran bis ins Blut aufzuschlitzen, zu spüren, wie es warm über ihre Wangen rann. Als Zeichen, dass sie lebte und fühlte. Oder zumindest zu beobachten, wie Gaspare es tat – zu leben, zu fühlen, sich seiner Vergangenheit zu stellen, ganz gleich, wie sehr sie

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