Die Tochter des Ketzers
sie nicht los. Weder der Anblick, wie Ramón dem armen Mann den Pfeil 1 in die Kehle gerammt hatte. Noch jene, die Akil heraufbeschworen hatte, als er ihr seine Geschichte erzählte. Wie viel Leid. Wie viel Blut. Wie viel Ungerechtigkeit.
»Und jetzt?«, fragte sie leise.
Akil zuckte die Schultern.
»Ramón wird Ruggiero seine Lügen auftischen, und jener wird alles tun, damit Gaspare sich nie wieder bei König Pere blicken lassen kann. Er wird das Lehen hier in Malta verlieren und wahrscheinlich eilig von hier fliehen, um später nie wieder eine der Inseln zu betreten, die in Pere von Aragóns Machtbereich fallen.«
»Denkst du wirklich, dass ...«
»Selbst wenn der König ihm vergeben würde – wenn Ruggiero davon erfährt, dann wird er Jagd auf ihn machen. Gaspare wird Sizilien meiden müssen, die Insel Pantelleria, Kalabrien ...«
»Aber ...«
»Und noch weniger kann er sich in jenen Ländern blicken lassen, wo Charles d’Anjou die Macht hält, weil er auf Seiten von dessen ärgstem Feind gekämpft hat.«
»Aber ...«
»In Pisa hat er keine Freunde, dort lauert nur sein Stiefvater, der alles tun würde, den unliebsamen Erben ein zweites Mal aus dem Weg zu schaffen. Und für die Genuesen war er immer schon nichts weiter als ein Pirat. Ich denke, dass ihm nichts anderes übrig bleibt, als diese Rolle zu erfüllen.«
Homo viator.
Jenes Wort fiel Caterina ein, das Ray dereinst für sich gebraucht hatte. Ein Heimatloser sei er – und genau das, was die Menschen in ihm sehen wollten.
Der restliche Weg verlief schweigend. Akil war in seinen düsteren Erinnerungen gefangen – und offenbar war das auch Gaspare. Caterina warf dann und wann einen vorsichtigen Seitenblick auf ihn, der bislang noch kein Wort zu ihr gesprochen hatte, suchte zu ergründen, wie tief ihn dieser Schlag traf. Seine Schultern schienen schmaler zu sein als sonst, so tief ließ er sie hängen, aber sein Gesicht war ausdruckslos wie immer.
Erst als sie wieder am Hafen von Marsa ankamen, konnte Caterina den Mut aufbringen, auf ihn zuzugehen. Sie wusste nicht, was sie ihm sagen sollte. Sie wusste nicht, ob er ihr die Schuld an den Ereignissen gab, ob sie sein Hader, seine Rache treffen würden.
»Du hast mich gerettet«, murmelte sie, und es war aufrichtig gemeint. »Es tut mir leid, dass es dich so viel gekostet hat ...«
Als er seinen Blick hob, war jener tot.
Dann sagte er etwas, was sie nicht verstand.
»Hab Dank, Caterina, hab Dank.«
Heimelig und schützend deuchte Caterina ihre Kammer, als sie endlich auf die Bonanova zurückgekehrt war; kein Gefängnis mehr, sondern nach allem, was geschehen war, ein Zufluchtsort.
Ray schien auf sie gewartet zu haben, wenngleich er seine Ungeduld und Sorgen nicht eingestand. Als sie den Raum betrat, waren seine Augen hungrig und zugleich angsterfüllt auf die Tür gerichtet gewesen – um sogleich wegzusehen, als er sie wohlbehalten erblickte und sie zu reden anhub. Auf Gaspares Erwähnung reagierte er mit sichtbarer Gleichgültigkeit, bekundend, dass er mit dessen Geschick nichts zu tun haben wollte. Doch Caterina scherte sich nicht darum, sprach in einem fort, nicht der Logik zeitlicher Abläufe folgend, sondern alles durcheinanderwerfend: die grausame Ermordung von Ruggiero di Lorias Neffen, ihre Verschleppung, Gaspares nun wohl unvermeidliche Verbannung von der Insel, die Ängste, die sie in dem Erdloch hatte ausstehen müssen. Sie erzählte es nicht nur einmal, sondern mehrmals, in verschiedenen Varianten, mal aufgeregt, mal wütend, mal neugierig, mal verwirrt.
Zuletzt lauschte Ray gebannt.
»Man ... man hat dir doch nichts getan?«, fragte er mit leiser Sorge.
»Ist es nicht genug, dass man mich fesselte und über ein sonderbar schaukelndes Tier warf? Ich weiß nicht einmal, ob’s ein Pferd war.«
»Gewiss ... aber ...«
»Nein, sonst hat man mir nichts getan!«, sagte sie. »Aber wenn Gaspare mich nicht gerettet hätte ...«
»Darauf hat es Ramón doch angelegt, oder nicht?«, knurrte Ray unwirsch.
»Gaspare hätte es nicht tun müssen! Und dass er’s tat – oh, was hat es ihm nur eingebracht!«
Ray zuckte die Schultern. »Das geschieht ihm recht«, meinte er nicht ohne Schadenfreude.
»Du hast doch keine Ahnung!«, stieß sie heftig aus.
Sie hatte selbst keine. Sie wusste nicht, warum Gaspare ihr vorhin gedankt hatte. Er hatte kein weiteres Wort zu ihr gesagt, sich nicht erklärt, hatte sie einfach stehen gelassen und war verschwunden, freilich ohne Grimm, den sie in
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