Die Tochter des Ketzers
»Aber er verhält sich so, als hätte er den Verstand verloren.«
Corsica, 251 n.Chr.
Ich folgte dem gequälten, erbärmlichen, unmenschlichen Schrei, der aus der Tiefe des Kerkers zu uns drang, in dem Julia hockte. Es scheint erstaunlich, dass ich sogleich erkannte, aus wessen Kehle er stammte, denn er hatte nichts mit dem Klang gemein, der ihrer Stimme sonst so eigentümlich war. Ich trieb den Wärter zur Eile an. Die Stufen waren uneben und glitschig; das Licht in diesem höhlenartigen, unter der Erde liegenden Gemäuer wurde immer dunstiger. Und doch erkannte ich alsbald den Grund für ihr Schreien.
Immer hatte ich sie als Herrin der Lage erlebt, nun war sie ihnen ausgeliefert, jenen Männern, die kurz vor mir den gleichen dunklen, rauchigen Weg gegangen waren, vielleicht auf Befehl eines Christenfeindes, vielleicht aus eigenem Gutdünken, weil man einer Feindin Roms schließlich zusetzen konnte, ohne jemals dafür bestraft zu werden, ganz gleich, ob sie nun aus gutem Hause ist oder nicht. Womöglich war es gerade Letzteres, was sie reizte.
Sie waren zu dritt – und sie ganz alleine.
Als ich und der zottelige Wärter eintrafen, da hatte ich den Eindruck, man wolle sie nicht bloß schänden, sondern zerreißen. Der eine hielt Julia an den Armen gepackt, die beiden anderen hatten jeweils ein Bein zu fassen bekommen, und während solcherart nicht nur ihr Leib erbärmlich gezerrt wurde, sondern auch ihre Tunika zerriss, stritten sie sich, welcher der Erste sein sollte, der sie bekam.
Ich war entsetzt über das, was ich sah. Und konnte zugleich den Blick nicht davon wenden. Fahl war Julias Haut, vom grauen Schleier bedeckt, der hier allem die Farbe nahm. Dass ihr Leib dürr und sehnig war, hatte ich früher nur erahnen, vielleicht an ihren Händen sehen können. Nun gewahrte ich, dass sie kaum Brüste hatte; einzig das Runde der dunklen Warzen hob sich ein wenig. Ihr Bauch war straff und glatt, ihre Hüften schmal wie die eines Jungen. Ja, einem solchen glich sie gänzlich, nur zwischen den Beinen nicht, wo trotz ihrer hellen Haare sich dichte, dunkle Locken über ihrer Scham kräuselten.
Ich fühlte, wie ich glühend rot wurde. Ich hatte nackte Menschen gesehen, und auch erlebt, wie sie sich paarten – doch Julia entblößt zu sehen war etwas anderes. Es war mir unangenehm, und zugleich, ich kann es nicht leugnen, war eine diebische Lust dabei, sie in dieser Lage zu erleben, schwächer, so viel schwächer als ich – wohingegen sie doch immer jene gewesen war, die ihr Leben zu beherrschen schien, nicht nur das Leben, auch den Tod. Letzteren fürchtete sie nicht, ja, sie schien ihn sogar anzustreben.
Aber der Tod hat so viele Gesichter, und das Heldenhafte ist sein seltenstes. Das, was ihm vorausgeht, schmeckt meist nach Elend, nach Siechtum, nach Einsamkeit – oder nach Gewalt.
Das hast du nicht gewollt, oder?, ging mir durch den Kopf, fast höhnend, voller Genugtuung, als wäre ihr Entschluss, für den Glauben ins Gefängnis zu gehen, eine persönliche Kränkungwider mich.
Beides währte nicht lange, fiel von mir ab, kaum dass nun einer der Männer ihr Bein losließ und – offenbar zum Ersten erwählt – sich zwischen ihre Schenkel hockte.
»Aufhören!«, rief ich. »Sofort aufhören! Wenn Felix Gaeta- nus davon erfährt, seid ihr alle des Todes, gleich, wessen sie selbst sich schuldig gemacht hat!«
Ich war erstaunt, wie kraftvoll meine Stimme klang. Sie erreichte mühelos die Männer, ließ sie herumfahren, mich skeptisch anschauen. Ihre Mienen waren anfangs ärgerlich, dann ängstlich. Sie schienen am Blick des Kerkermeisters deuten zu wollen, ob ich befugt war, ihnen zu befehligen, doch jener war unter der Flut der zotteligen Haare verborgen. Dass er sich nicht regte und einmischte, mochte ihnen anfangs noch Zeichen dafür sein, dass ihm ihr Verhalten gleichgültig war – dann verstanden sie, dass sie die Folgen alleine würden zu tragen haben.
Julia fiel polternd zu Boden, als sie sie losließen. Murrend und enttäuscht erhoben sich die Männer, trabten an mir vorbei; ich fühlte ihre giftigen Blicke. Der Kerkermeister folgte ihnen nach draußen, dann war ich allein mit ihr.
Sie blickte hoch.
»Du hast mich gerettet«, murmelte sie. »Du hast mich gerettet, Krëusa.«
Kapitel XVIII.
Mittelmeer, Sommer 1284
Gaspare hatte etwas mit Ray gemein. Auch er vertrug den Wein nicht. Als Caterina zu ihm kam, war sein bleiches Gesicht von roten Flecken übersät. Er hatte beide Hände gegen die
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