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Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Rays Berührung an seine erinnerte, sondern weil ihr aufging: So müsste sich ein Weib Gaspare nähern, einfach ungeniert und selbstbewusst über seine Steifheit, seine Todesstarre, seinen Weltekel hinweggehen, müsste ihn nehmen, ihn packen, ihm Lebenskraft einhauchen. Ray mochte in den letzten Wochen oft erbärmlich gewirkt haben, selbstmitleidig und ohnmächtig, ständig auf die Seite der Verlierer gezwungen und von jenen getrennt, die das Leben mit kühler Macht beherrschten, so wie es Gaspare vermeintlich tat. Aber all das hatte seinen Leib nicht erfasst, nicht dessen natürlichen Drang, sich Nähe zu verschaffen, hungrig und entschlossen.
    Irgendwann war es vorbei. Sie wusste nicht, wer als Erster vom anderen abgelassen hatte. Ihr Kopf brummte, ihr schwindelte. Hatte sie geatmet in jener Zeitspanne?
    Röte stieg ihr ins Gesicht. Sie wagte nicht, ihn offen anzusehen, tat es nur aus dem Augenwinkel, gewahrend, dass auch er an ihr vorbeisah, verlegen und scheu.
    Sie hörte, wie er mehrmals den Mund öffnete, zum Reden ansetzte, nichts herausbekam. Doch ehe das Schweigen unerträglich wurde, schien plötzlich der Boden unter ihnen zu beben, nicht länger dem Takt von sanften Wellen folgend, sondern einem heftigen Stoß, der durch die ganze Bonanova ging.
    Ein beängstigendes Krachen ertönte. Dann wurde Ray, der eben noch so dicht vor ihr stand, von unsichtbarer Macht zurückgerissen und quer durch den Raum geschleudert.
    »Ein Sturm, gewiss ist es ein Sturm!«
    »Unsinn! Das kann kein Sturm sein! Ein solcher taucht doch nicht aus dem Nichts auf! Er hätte sich angekündigt!«
    »Wir sind auf hoher See – wer weiß, welche Gesetzmäßigkeiten hier herrschen! Bist doch schon öfter durch den Raum geschleudert worden, wenn eine Bö uns traf!«
    »Das hier ist anders. Und sind wir tatsächlich noch auf hoher See?«
    Seit mehreren Augenblicken gingen die Worte hin und her, oft verschluckt von jenem Krachen, Poltern, Murren, das dem heftigen Schlag gefolgt war. Kein zweites Mal war das Schiff so abrupt auf eine Seite gekippt, dass einer von ihnen durch den kleinen Raum geschleudert wurde, und doch schien der Boden nicht aufzuhören zu zittern, wankte mal nach rechts, mal nach links, als befände sich unter ihm kein glattes Meer, sondern eine sich drehende Kugel. Bei jeder Bewegung ächzte das Schiff wie ein alter Mann mit schmerzenden Knochen, manchmal klang es mehr wie ein Knirschen, manchmal wie ein Brechen.
    »O Gott!«, stieß Ray aus. »O Gott!«
    Er blickte nach oben, als käme von dort Antwort, indessen Caterina verzweifelt an die verschlossene Türe klopfte. Sie ließ sich nicht öffnen – entweder weil sie verschlossen war, was in den letzten Wochen kaum mehr vorgekommen war, oder weil sie klemmte. »Akil!«, schrie sie panisch. »Akil! Hörst du uns? Hört uns irgendjemand?«
    Plötzlich ein Zischen, als wäre irgendwo ein Feuer aufgelodert. Es verklang, doch im nächsten Augenblick ging ein neuerlicher Ruck durch das ganze Schiff. Ohne einen Schritt getan zu haben, landete Caterina direkt in Rays Armen. Erneut ein Zischen, und jetzt auch ein Schreien aus Menschenkehlen, laut, gehetzt; manches klang nach Schmerzenslauten, aber es mischten sich auch Befehle darunter.
    Im nächsten Augenblick nahm Caterina einen Schatten aus dem Augenwinkel war, doch ehe sie hochblicken konnte, gewahren, dass sich ein Balken aus der Decke löste, hatte Ray sie schon zu Boden geworfen, bedeckte ihren Körper mit seinem. Sie lag wie erstarrt, dachte daran, dass ihr Ähnliches schon einmal geschehen war – als der Vater starb und das brennende Haus sie beinahe unter sich begraben hatte. Nur war sie damals allein gewesen, heute nicht. Rays heftige Atemzüge beruhigten sie erst – und erfüllten sie dann umso mehr mit Angst.
    »Lass mich los!«, schrie sie spitz. »Wir müssen hier raus!«
    »Das Schiff wird angegriffen, hörst du das nicht! Ich glaube, es sind brennende Pfeile, die es treffen!«
    »Dann müssen wir umso schneller hier raus!« »Heiliger Antonius von Padua, steh uns bei!«
    Verständnislos blickte Caterina ihn an, ehe ihr einfiel, dass jener Heilige den Menschen im Falle des Schiffbruchs und der
    Kriegsnöte beistand. Freilich minderte das nicht ihr Erstaunen, dass ausgerechnet Ray diesen anrief.
    Seine Stimme erstickte alsbald. Wieder wankte das Schiff, sodass Caterina fürchtete, es könne sich mitsamt der engen Kammer auf den Kopf stellen. Unwillkürlich suchte sie nach etwas zu fassen, was Halt gewähren

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