Die Tochter des Ketzers
entgangen war. »Aber warum?«
»Gaspare hat seinen Männern auf Malta freigestellt, auf der Insel zu bleiben oder bei ihm. Nur wenige haben sich ihm, einem wohl bald Verfemten angeschlossen – und das auch nur, weil sie sich auf Korsika mehr erhofften als auf Malta.«
»Seine Männer haben ihm also nicht die Treue gehalten«, stellte Caterina fest.
»Warum sollten sie auch? Gaspare war immer ihr Herr ... nie ihr Freund. Und nun nach dem Zerwürfnis mit Ramón ...«, Akil machte eine kurze Pause, ehe er fortfuhr: »Auf jeden Fall sieht es so aus, als könnte die Bonanova den vorbestimmten Kurs nicht einhalten und als würden wir die Insel nicht wie geplant im Westen erreichen, sondern im Osten.«
Anders als Caterina, die Akil neugierig zuhörte, stellte Ray keine Fragen, wenngleich sie ? seitdem sie die Neuigkeiten erfahren hatten, manchmal das Gefühl hatte, dass sein Blick auf ihr ruhte. Doch sobald sie ihn forsch erwiderte, wich er ihr aus und gab vor, sich mit irgendetwas zu beschäftigen: Entweder stierte er in den Wasserkrug, als gäbe es dort Interessantes zu erschauen, pulte das Schwarze unter seinen Fingernägeln hervor oder versuchte, sein zerfleddertes Gewand an einzelnen Fäden zusammenzubinden, auf dass es nicht gänzlich aufriss.
Ein einziges Mal wandte er sich an sie, wollte wissen, wie sie ihr Geschick einschätzte: Ob sie damit rechne, dass Gaspare sie beide freiließe, wenn sie die Insel Korsika erreichten?
»Ich weiß es nicht«, gab Caterina zu, überrascht, dass sie darüber nicht längst schon selbst nachgedacht hatte. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie seit Tagen keinen einzigen Gedanken an das Morgen verschwendet hatte. Nur durch die kleine Lücke des jeweiligen Tages blickte sie auf die Welt und sah von ihr nicht eben mehr, als diese Lücke an Durchsicht bot. Sie hatte keine Lust, sich vorzubeugen, den Kopf durch sie durchzuzwängen.
»Was für ein Schuft! «, stieß Ray ungeduldig aus. »Was für ein Schuft, uns derart im Ungewissen zu belassen!«
»Auch wenn er uns noch nicht auf Korsika freilassen sollte – ich bin mir sicher, irgendwann wird er sein Versprechen halten«, sagte sie gleichgültig. »Und ... und dann kannst du endlich wieder machen, was du willst!«
»Und was soll ich nach deiner Meinung tun?«, fragte er, und es klang gehetzt. »Sag es mir!«
Verwundert blickte sie hoch. »Ich dachte, es läge dir so viel daran, dich selber durchzubringen. Und hierfür Menschen zu betrügen. Oder hast du Angst, du hättest es verlernt?«
Unwillkürlich reckte er seinen Arm nach hinten, befühlte die Narben auf seinem Rücken; manche von ihnen waren immer noch rissig und feucht. Er verzog schmerzlich sein Gesicht.
»Bin ich noch der Alte?«, fragte er unvermittelt.
Sie hatte ständig darauf gewartet, dass sie wieder miteinander sprächen – doch nun stimmte es sie gereizt, anstatt wohltuende Unterbrechung vom Schweigen zu sein.
»Sieh dich an«, bemerkte sie knapp. »Dir mag Schlimmes widerfahren sein. Aber du kannst stehen und Schritte machen, du kannst essen und atmen, du kannst schlafen und reden. Warum solltest du nicht ganz der Alte sein? Alles geht doch seinen gewohnten Gang. Auch für mich.«
Kopfschüttelnd blickte er auf sie herab. »Du bist so kalt geworden, Caterina! Ist das meine Schuld? Oder bist du’s immer gewesen? Fromm und ängstlich, das auch, aber zugleich so ... stur, so unerbittlich, so hart.«
Sie antwortete nicht, doch er hörte nicht auf zu fragen.
»Wer gibt dir die Kraft, Caterina, dass du all das so viel besser durchstehen kannst als ich? Ist es Gott? Ist es dein Glaube? Ist es die Heilige Julia, deren Reliquie du mit dir trägst? Hast du dir eigentlich überlegt, ob sie es ist, die uns nun nach Korsika führt?
Es war doch diese Insel, auf der sie das Martyrium erlitten hat, nicht wahr?«
Sie blickte ihn überrascht an. Bislang hatte sie keine Verbindung zwischen ihrem Reiseziel und ihrem Schatz gesehen. Erst jetzt ging ihr jenes wundersame Geschick auf, vielleicht nur ein Zufall, vielleicht aber auch eine Fügung des Allmächtigen.
Noch während sie überlegte, ob Ray insgeheim über diesen Umstand spottete oder die Ernsthaftigkeit, mit der er seine Worte gesprochen hatte, echt war, fuhr er bereits mit einem trockenen Bekenntnis fort: »Du hast eine Bestimmung, Caterina. Ich nicht.«
Caterina blickte erstaunt hoch. »Aber du hast doch ...«
»Nichts habe ich jemals ordentlich zustande gebracht!«, fiel er ihr ins Wort. »Mein größtes
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