Die Tochter des Ketzers
Mittwoch und am Freitag, so wusste sie, durfte man kein Fleisch essen. Welcher Tag aber war heute? Ihr Geist war nach dem langen Marsch umnebelt, wollte nicht recht eine Antwort ausspucken.
»Na?«, drängte die Frau da, und es klang nicht nur ungeduldig, sondern plötzlich auch feindselig. »Isst du etwa kein Fleisch?«
Caterina, die bislang zögernd auf das Fleisch gestarrt hatte, hob den Kopf. Die Blicke der anderen trafen sie, nicht minder finster und misstrauisch als der von Fauressa, zwei steckten sogar die Köpfe zusammen, um miteinander zu tuscheln. Caterina verstand das sonderbare Gebaren nicht, aber ehe sie es zu er- gründen suchte, fiel ihr wieder ein, dass die Franzosen am Sonntag ins Haus eingedrungen waren. Eine Nacht hatte sie in der Kapelle verbracht, die nächste mit Isarn. Also musste heute Dienstag sein – kein Fasttag.
Erleichtert griff sie nach dem Fleisch, stopfte es so hungrig in sich hinein wie vorhin die Früchte und nahm aus den Augenwinkeln wahr, wie sich die Blicke der Frauen besänftigten, sie einander beruhigt zunickten. Erneut verstand Caterina dieses Gebaren nicht, war auch zu beschäftigt mit dem Essen, um es zu ergründen, und als sie das Mahl beendet hatten, hatte sie es schon wieder vergessen.
Hernach blieben sie ein Weilchen sitzen. Schüchtern fragte Caterina Fauressa, die nicht nur die Älteste zu sein schien, sondern auch die Freundlichste, was sie denn auf diesen Marsch führte.
Fauressa trat stolz zum Wagen, vor den der störrische Esel gespannt war, und schlug das Leinentuch zurück, das die Waren verdeckte, die sich dort befanden: zwei wohlgeformte Kannen aus Ton, desgleichen einige Platten aus einem bronze-funkelnden Material und eine Schüssel aus Keramik, die farbig bemalt war.
»Das verkaufen wir hier auf verschiedenen Märkten zum Preis von sechs Sous! «, rief sie selbstbewusst. »So kann man gut leben, ‘s gibt viele Herren hierzulande, die Frauen wie unsereins gerne damit beschäftigen, für einen Hungerlohn feines Tuch zu weben und zu färben. Nein, wir haben’s da schon besser getroffen, denn wir haben allein vor uns selbst Rechenschaft über unserer Hände Arbeit abzulegen!«
Caterina blickte sie ehrfürchtig an. Frauen, die ihr eigenes Geld verdienten und obendrein ohne männlichen Schutz durch die Lande zogen! Jener Gedanke brachte sie zurück zu dem, was sie Fauressa schon vorhin hatte fragen wollen, sich jedoch nicht getraut hatte.
»Sag, warum hast du gelacht, als ich nach meinem Oheim fragte?«
Der schrille, laute Klang hallte noch in ihren Ohren. Fauressa hatte Speichel gespuckt, so heftig war das Lachen gewesen, in das sie ausgebrochen war, kaum dass Caterina den Namen genannt hatte.
»Dein Oheim?«
»Raimon.«
»Ach ... Ray.« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung und grinste zugleich halb grimmig, halb wehmütig. »Er ist also dein Oheim?«
»Der Vetter meines Vaters.«
»Merkwürdig«, murmelte Fauressa, aber fügte nicht hinzu, was sie damit meinte.
»Also ... er ist doch ein rechtschaffener Mann, oder?«
»Ray?« Sie gackerte auf wie ein Huhn. »Nun hört mal alle her!«, rief sie in die Runde. »Das Mädchen fragt doch tatsächlich, ob Ray ein rechtschaffener Mann ist!«
Die anderen stimmten in das Gackern ein, das in Caterinas Ohren schmerzte. Die Einsamkeit ihrer Jugend hatte sie weder für gut noch für schlecht befunden, sondern sich ihr gefügt. Jetzt dachte sie erstmals, was es für ein Labsal wäre, sich zu verkriechen, nichts mehr zu sehen, nichts mehr zu hören.
»Er ... er ist doch kein Ketzer«, stammelte sie.
Das Gackern verlosch augenblicklich. »Mädchen, Mädchen«, murmelte Fauressa kopfschüttelnd. »Weißt nicht viel von dieser Welt, ‘s gibt doch kaum noch Ketzer. Die Vernünftigen unter ihnen haben längst ihrem Glauben abgeschworen. Denn wer’s nicht tat, dem haben sie sein ganzes Hab und Gut genommen, und wen’s ganz übel traf, den haben sie verbrannt.«
Meinen Vater haben sie auch verbrannt, ging es Caterina durch den Kopf, aber sie wagte nicht, es laut zu sagen.
»Was trägst du da eigentlich bei dir, Mädchen?«, fragte Fau- ressa und neigte sich nach vorne, um Caterinas Bündel in Augenschein zu nehmen.
Caterina zuckte zusammen, presste ihren Schatz fester an sich. Rasch überlegte sie, ob sie jene Drohung gebrauchen sollte, mit der sie Isarns Neugierde abgewehrt hatte.
»Das ... das ist von meinem Vater. Mein Oheim Raimon soll entscheiden, was damit geschieht ...«
Tuscheln brandete auf,
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