Die Tochter des Ketzers
wollte ob der Blöße und zugleich so lange hinstarrte, um alle Details zu erschauen.
»Warum hast du sie sterben lassen?«, rief ich.
»Ich musste es tun! Es war meine Pflicht. Ich habe mein Leben lang meine Pflicht getan.«
»Warum ...«, setzte ich wieder an. Ich brachte die Frage nicht zu Ende, versuchte mich stattdessen von ihm zu lösen. Doch sein Griff war fest. Zuerst hielt er mich an meinen Armen fest, dann packte er mich am Kopf.
Er wird meinen Schädel zerdrücken, dachte ich. So fest wird er zupressen, dass er birst und alles herausrinnt, was jemals darin gedacht wurde. Oder er wird mir das Genick brechen.
Seine Nähe, auf die ich so gehofft und so lange gewartet hatte, war mir kein Labsal mehr, nur unerträglich. Gleichwohl ich noch dagegen kämpfte, überkam es mich übermächtig – das Verlangen, mich freizumachen, nach ihm zu treten, nach ihm zu schlagen.
Ehe ich es tat, lockerte sich sein Griff. Er neigte sich vor, und dann küsste er mich.
Kapitel XXII.
Korsika, Sommer 1284
»Wie ist dir? Du bist leichenblass!«
Eine Weile war Akil schweigend hinter ihr hergelaufen, hatte sie weder aufgehalten noch den Grund ihrer Flucht erfragt. Erst als sie stehen blieb, weil ihre Brust zu zerspringen schien, so begehrte er zu wissen, warum sie überstürzt aus Davides Haus gekommen war, die Reliquie an sich gerafft und einen letzten panischen Blick hinter sich werfend, als lauere dort nicht bloß der genuesische Kaufmann, sondern der Teufel selbst. Gottlob waren Giovanni und Matteo noch immer so in sich verknäult, dass sie dem Mädchen nicht mehr Aufmerksamkeit schenkten als zuvor.
»Was ... was ist geschehen?«, drängte Akil. »Hat er dir das Geld nicht geben wollen? Was hat er gesagt, als du ihm ... deinen Schatz gezeigt hast?«
Verständnislos starrte Caterina ihn an, als wäre sämtliche Erinnerung an den eigentlichen Grund, der sie zu Davide getrieben hatte, aus dem Gedächtnis geschabt.
Caterina keuchte; sie beugte sich nach vorne, als wollte sie sich übergeben. Dabei fiel ihr Blick auf das kleine, kostbare Kästchen, das sie immer noch mit sich trug. Sie sank auf die Knie, es am Bauch bergend, als wolle sie es zugleich beschützen wie zerquetschen.
Akil bedrängte sie nicht weiter. Ratlos stand er neben ihr, doch gerade weil er keine Fragen mehr stellte, war es leichter, nun endlich zu reden.
»Ich habe ihn erschlagen. Ich habe ihn mit der Reliquie erschlagen.«
Sie hatte erwartet, dass Worte die Sache noch ungeheuerlicher machen würden und ihr zugleich ein Gesicht geben, das Wissen um schwerste Sünde und Entweihung ebenso bekräftigen wie den tiefen Wunsch nach Reue und Vergebung. Stattdessen klang es einfach nur lachhaft. Akil runzelte ungläubig die Stirne.
»Du hast was?«
»Ich weiß es nicht ... ich habe es nicht gewollt«, stammelte sie. »Eigentlich wollte ich ihn nur wegstoßen, ihn mit meiner Faust treffen, doch ich hatte ja dieses Bündel in der Hand. Und als ich es geschwungen habe, da traf es seine Schläfe, und er sackte einfach zusammen. Ich glaube, er ist tot.«
Immer noch war Akils Stirn gerunzelt. Während sie redete, hatte sie sich ein wenig aufgerichtet, sodass er das Bündel sehen und mustern konnte.
»Nun gut«, meinte er, »das Kästchen ist spitz. Wenn du mit einer Ecke seine Schläfe getroffen hast ... aber vielleicht ist er nur ohnmächtig geworden. Hast du darauf gelauscht, ob er noch atmet? Ob sein Herz noch schlägt?«
Diesmal war sie es, die ihn verständnislos anstarrte. Dass sie einen Mann, der um so viel größer war als sie selbst, zu Fall gebracht hatte, war ihr hinreichender Beweis, dass seine Lebenskraft versiegt sein musste. Doch jetzt ging ihr auf, dass Akil vielleicht recht und Davide sein Bewusstsein längst wiedergefunden hatte. Vielleicht schickte er schon Matteo und Giovanni nach ihnen aus, um das Verbrechen zu ahnden.
Dennoch schüttelte sie entschieden den Kopf. Selbst wenn ihre Kraft nicht ausgereicht hatte, ihn zu morden. Fest stand, dass sie sich an etwas zutiefst Heiligem vergriffen hatte, den kostbaren Schatz verunreinigt, dies war ein Vergehen von solcher Schwere, dass sie kurz erstaunt war, noch zu leben, so wie es der schmerzhafte Atem bekundete.
»Soll ich umkehren und schauen, was mit ihm passiert ist?«, fragte Akil.
»Nein!«, schrie sie unwillkürlich auf. »Nein!«
Akil zuckte mit den Schultern. »Warum denn nicht?«
Sie konnte ihm den Grund für diese Weigerung nicht benennen. War es die Furcht, dass er Davide
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