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Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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gepustet. Nur zwei Worte nicht. Erstaunlich klar stiegen sie vor ihr auf.
    Diesmal nicht. Diesmal nicht.
    Sie handelte blind, zog ihr Bündel hervor, um es vor seinen Fingern zu retten, schwang es mehrmals durch die Luft. Sie hatte nicht geplant, ihn damit zu treffen, doch als sein Griff stärker wurde, ihr die Luft abdrückte, begann sie unwillkürlich um sich zu schlagen, die leere Hand zur nutzlosen Faust geballt, hingegen mit der anderen das Bündel gleich einer Schleuder nutzend.
    Er lachte ob ihres ziellosen Trachtens, lockerte seinen Griff. Dann plötzlich ein dumpfer Stoß, so leise, dass sie kaum glauben konnte, ihm ernsten Schaden zugefügt zu haben.
    Doch seine Hände fielen von ihr ab, sie war wieder frei, konnte sich umdrehen, gewahren, dass sie ihn mit einer der spitzen Kanten an der Schläfe getroffen hatte.
    Davide starrte sie überrascht aus aufgerissenen Augen an. Doch dem Blick folgte nichts – kein Ausruf des Erstaunens, kein neuerliches Zupacken. Stattdessen kippten die schwarzen kleinen Augen ins Weiße, und sein groß gewachsener Körper fiel zu Boden.
Corsica, 251 n.Chr.
    Die Tage flössen dahin, es gab keine Neuigkeiten. Eusebius kam zweimal zu Gaetanus, sprach stundenlang mit ihm. Doch ich selbst begegnete ihm nicht wieder, konnte mir nur denken, wie verzweifelt er war – und ohne Hoffnung. Er kannte seine Tochter.
    »Sie ... sie sagte mir, dass sie gekreuzigt werden solle«, berichtete ich Thaïs, als ich bleich und ausgelaugt wiederkehrte.
    »Ja«, sagte jene, »ja, das ist wohl die vorgesehene Strafe. Aber vielleicht lässt sich Aufschub erreichen. Ich habe gehört, dass man sie mürbe zu machen versucht durch lange Kerkerhaft.«
    »Julia wird nicht von ihrem Glauben abschwören. Sie sieht sich als die Einzige hier auf Corsica, die ihn zu wahren sucht.«
    »Aber Gaetanus kann warten, bis er ein Urteil spricht. Und ich denke, dass es das ist, was Eusebius bei ihm auszurichten versucht.«
    Ja, Gaetanus wartete, und wir harrten mit ihm. Ich verließ kaum mehr seine Villa, warum auch, es gab niemanden, der mich irgendwo erwartete. Besser war’s, sich zu verkriechen; die Lust dazu war so groß, dass es mich kaum dauerte, dass Gaetanus mich nicht mehr zu sich rief, um sich von mir den Nacken massieren zu lassen. Früher wäre ich daran verzweifelt. Nun war ich froh, nicht in seine Augen sehen zu müssen, mich daran zu erinnern, wie ich mit ihm über Julia gesprochen hatte.
    Ein Monat war vergangen, bis ich ihm schließlich wiederbegegnete. Er hatte mich nicht rufen lassen, er kam zu mir. Seine Miene war starr und grau.
    »Mein. Herr?«, fragte ich verwundert Wir waren im Atrium. »Leidest du an Schmerzen?«
    Zögernd trat ich hinter ihn, bereit, die Hände auf seine Schultern zu legen, wenn er es denn wünschte. Doch er sagte nichts. Er drehte sich nur plötzlich zu mir um, und dann war nicht ich es, die ihn berührte, sondern er stürzte sich auf mich.
    Seine Haltung war immer starr und aufrecht gewesen. Nun war da nur mehr ein schlaffer, schwerer, formloser Klumpen, der mich weniger umarmte als vielmehr erdrückte.
    Wie riecht diese weiße Haut, wie schmeckt sie, habe ich mir oft überlegt, wenn ich ihn heimlich beobachtete. Jetzt hüllte sie mich ein wie kaltes Tuch, und ich konnte nicht daran riechen, weil ich dachte, es müsste mich ersticken.
    Es währte endlos, wie wir da standen, zumindest erschien mir das so. Seine Nähe – sie war mir nicht widerwärtig, noch erschreckte sie mich; sie war einfach nur betäubend, als würde er, der stets so gleichmütig blickte und ausdruckslos zuhörte, die Menschen taub und blind machen, sobald er sie berührte.
    Ich stellte keine Frage, was das absonderliche Gebaren zu bedeuten hatte, ich ahnte ja dessen Grund, ich wartete lediglich: zuerst auf ein Gefühl der Genugtuung, weil ich es war, auf die er zugestürzt war, später, als es sich nicht einstellte, darauf, endlich von seiner Schwere befreit zu werden, weil ich sonst darunter zusammenbrechen würde.
    Ein wenig löste er sich schließlich von mir, packte mich dann aber am Arm und zog mich ins Tablinum, in sein Arbeits- und Schlafzimmer.
    Erschöpft sieht er aus, dachte ich, so erschöpft ...
    Und dann dachte ich: Sie ist tot. Er hat sie sterben sehen.
    Noch war dieses Wissen nicht aufgeblasen zu seiner ganzen bedrohlichen Größe, die allem anderen – Sorge und Mitleid für ihn, Triumph, dass er mich suchte – den Atem wegpresste.
    Dann begann er zu erzählen.
    »Sie hat nicht aufgehört

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