Die Tochter des Ketzers
zu sprechen«, tönte es in den Raum. »Sie hat immerzu geredet. Warum hat sie nicht einfach den Mund gehalten? Warum hat sie nicht geschwiegen?«
Ich fühlte, wie sich sämtliche Härchen aufrichteten, eben noch von ihm plattgedrückt, nun kündend von jenem Nein, das sich gegen seine Worte stemmte: Nein, ich will es nicht wissen müssen. Nein, sprich es nicht aus ... Und nein: Komm mir nicht zu nahe.
»Ich wollte nicht dabei sein, aber sie ist eine junge Frau, sie ist freie Römerin, ein ehrenvoller Tod hätte ihr zugestanden – zumindest bei jedem anderen Vergehen. Hier galt es freilich, ein Exempel zu statuieren. Ja, ich wollte nicht dabei sein, aber ich musste. Die Korsen haben gelernt, mit uns Römern zu leben, aber sie sind ein trotziges Volk, stets bereit zu Aufruhr. Sie haben uns nie verziehen, dass einst viele ihres Volkes versklavt wurden, dass sie stets so hohe Abgaben zu leisten hatten. Eine junge Frau, die so elend stirbt, könnte sie rühren ... und es musste klar sein, dass wir mit aller Entschlossenheit das Dekret des Kaisers erfüllen ... wenn wir den Vorsteher der Gemeinde in unsere Hände bekommen hätten, dann hätte ich verzichten können, auch sie hinrichten zu lassen. So aber ...«
Sein Blick war nicht schwarz und dunkel, er schien zerkratzt, sodass alles, was in ihn hinein- oder aus ihm herauswollte, an scharfen, rissigen Kanten vorbeischrammen musste, sich verletzte und blutig wurde. Wie vorhin dachte ich: Ich will es nicht wissen müssen. Sprich es nicht aus – doch gerade ob des Grauens, das sich in meinen Zügen ausbreitete und jenes spiegelte, das sein Antlitz zerriss, sagte er mir alles.
»Sie hat sich ihr Haar geflochten, damit es nicht offen hinge.
Niemand sollte glauben, dass sie in der Stunde ihres Todes trauern würde. Und dann, dann haben sie ... sie nicht mit Nägeln festgemacht, sondern mit Stricken. Es ist weniger schmerzvoll, aber es verlängert den qualvollen Tod. Nur darum ... nur darum habe ich befohlen, dass das Stück Holz unter den Füßen weggeschlagen wird. Damit sie schneller ... erstickt. Damit sie zu reden aufhört.«
Ich hatte nicht das Gefühl, dass er sich mir anvertraute, vielmehr, dass er mich beschmutzte; er lud mich nicht ein, seine Erinnerung zu teilen, er warf sie auf mich. Ich weiß bis heute nicht, warum er es tat: Weil er mich strafen wollte, mich, die ich Julia verraten hatte? Weil er wusste, dass ich sie kannte, und weil er darum voraussetzte, dass ich von ihrem Ende wissen wollte? Oder weil ich einfach seine einzige Vertraute war?
»Bitte, Herr«, sagte ich, »ich will es nicht hören ...«
»So viele Fliegen. Ihr Gesumme hat mich wahnsinnig gemacht. Und ihre Stimme ... sie hat ihnen noch vom Kreuz herab geantwortet. Wie erbärmlich sie aussehe, und wie erbärmlich ihr Gott wohl sein müsste, hatte einer der Soldaten hochgerufen. Und sie hatte erwidert: ›Die Torheit der Welt ist Weisheit vor Gott! Sie hat nicht gesprochen, wie Menschen reden, ihre Stimme hatte keinen Klang, verstehst du? Sie hat nach Luft gejapst wie ein Ertrinkender, nur dass das Ertrinken viel schneller geht. Weißt du, wie lange es gedauert hat?«
»Ich will es nicht wissen!«
Ich schrie nun. Da berührte er mich wieder. Er ließ sich nicht auf mich sinken wie vorhin; er streckte seine Hände aus, umfasste meinen Schädel damit. In meinen Ohren rauschte es.
»Acht Stunden. Ganze acht Stunden. Ihre Hände sind blau geworden, die Adern sind hervorgetreten wie schwarze Würmer. Du weißt, dass sie blaue Augen hat, nicht wahr? Du hast hineingeschaut. Aber ich habe keine blauen Augen gesehen, nur dunkle Löcher. Und ihr Haar war nicht länger blond, sondern sah weiß aus, als wäre sie gealtert. Und dann, dann haben ihre Füße plötzlich in der Luft getreten, wurde ihr Leib stärker als ihr Wille. Sie suchten Halt, aber sie fanden ihn nicht. Ich dachte, ihre Hände würden abreißen, immer sehniger wurden sie; vielleicht, dachte ich, ist es wie mit einem Bogen, der plötzlich zerreißt. Aber sie riss nicht, sie trat nur fortwährend in die Luft, als würde sie tanzen. Der Stoff ihres Kleides verrutschte, es saß so locker, und plötzlich, plötzlich hing sie nackt.«
Bislang hatte ich ihm zuhören müssen. Nun musste ich auch mit ihm sehen. Ich erinnerte mich – an jenen Augenblick im Kerker, da die Männer ihre Kleider zerrissen hatten und sie schänden wollten, und wie der Anblick ihrer behaarten Scham mich verstört hatte und zugleich fasziniert; wie ich wegsehen
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