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Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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seine Geschichte zu erzählen. Damit hatte er bereits begonnen, kaum dass er ihrer ansichtig wurde, und er nahm es gerne hin, keine interessiert lauschenden Zuhörer zu finden, Hauptsache, es waren menschliche Wesen, die weder in Gefahr waren, irre zu werden, noch zu verhungern noch zu ihrer Hinrichtung geschleppt zu werden.
    Zu Letzterer könne es viel schneller – vor allem aber unauffälliger und stiller – kommen als auf dem Festland, erklärte er. Wer sich hier nicht an Gesetze hielte, der solle nicht da- rauf hoffen, dass jene eingehalten würden, wenn seine gerechte Strafe anstünde.
    Der Raum, den er als den seinen benannte, schien eine der ehemaligen Zellen zu sein, er war jedoch von Kot, Ungeziefer und verzweifelten Inschriften gereinigt. Simone – so hieß der Mann, er hatte es ihnen mitgeteilt, ob sie es nun hören wollten oder nicht – schien den Raum lange geputzt zu haben und hatte offenbar selbst dann nicht mehr damit aufhören können, als neben den Wanden auch das hölzerne Tischlein, der Stuhl, auf dem er saß, und seine Bettstatt blankgeseheuert waren. Es gab kein gemütliches Eckchen in diesem Raum, offenkundig, weil sich Staub, Dreck und lästiges Getier dort viel eher verbeißen konnten. Selbst auf einen bequemen Strohsack hatte er verzichtet; nur eine dünne Matte lag dort, wo er schlief, jedoch weder ein Kissen noch eine Decke darauf. Nur des Schimmels in den feuchten Ecken hatte er nicht Herr werden können. Dessen modriger Geruch, ein wenig durchsetzt von der salzigen Note des nahen Meeres, hing hartnäckig im Raum, dessen rundes Guckloch gerade mal groß genug war, um einen Blick nach draußen zu werfen, nicht aber, um frischem Luftzug Einlass zu gewähren.
    Der Kerkermeister folgte Caterinas verwirrtem Blick durch die karge Unterkunft und brach erstmals seine Rede ab.
    »Alles sauber, nicht wahr?«, lachte er stolz. »Ich kann euch sagen: Es ist die größte Kunst – die Welt sauber zu halten! Du kannst erzwingen, dass die Bösen am Galgen enden oder nie wieder die Freiheit schmecken, und dir solcherart den Unrat des Menschengeschlechts vom Leibe schaffen. Aber den Gestank wirst du dabei nicht los. Sieh dir doch die Straßen hier an! Wo du auch hintrittst, steigst du in Scheiße oder Pisse, matschiges Gemüse oder verdorbenes Fleisch, in Fischgräten oder in Gedärme von Fischen. Was die Menschen eben alles aus den Fenstern kippen. Riecht ihr so etwas hier, he? Gewiss nicht! In meinem Leben hat es nämlich schon genug gestunken!«
    »Du hast vorhin von Hinrichtungen gesprochen«, versuchte Caterina ihn abzulenken, »und dass sie bisweilen ganz schnell und heimlich vonstattengehen. Ist das wahr? Und die beiden Männer, ein gewisser Raimon und ein Gaspare, ist für sie ...«
    Simone winkte ungeduldig, er, der solch eintönigem, schweigendem Beruf nachzugehen hatte, glaubte das größere Anrecht zu sprechen zu besitzen.
    »Ja, hier auf der Insel ist alles anders als auf dem Festland«, bestätigte er, aber scherte sich im Weiteren nicht um Caterinas Frage. »Mit der Ordnung nimmt man es nicht ganz so genau, mit der Reinlichkeit noch weniger. Glaubt mir, entweder kümmerst du dich selbst darum, oder du bist verloren. Was freilich heißt, dass dir auch die Freiheit zugestanden wird, entweder in Sauberkeit zu leben oder im Dreck. Die Entscheidung darüber nimmt dir keiner ab. Und wenn du sie getroffen hast, obliegt es allein dir, danach zu leben.«
    »Aber genau darum«, rief Caterina, »würde es doch keinem auffallen, wenn diese beiden Männer ... einfach verschwinden würden. Seht an, was ich Euch mitgebracht habe, das müsste doch ...«
    Wieder winkte Simone ab, erneut bekundend, dass er nicht ausreichend gesprochen hatte, um jetzt schon auf ihr Angebot zurückzukommen. Seufzend fügte sich Caterina schließlich seiner Rede, die sie wohl oder übel über sich ergehen lassen musste.
    »Woanders als hier auf dieser Insel wär’s auch nicht möglich, dass einer wie ich zum Kerkermeisterwird«, erklärte er verschwörerisch. »Als ich ein Junge war, habe ich einem Obsthändler fünf Orangen gestohlen. Hernach saß ich selbst für Wochen in solch einem Verlies, kalt und nass und dreckig, bis irgendeiner auf mich aufmerksam wurde und entschieden hat, meine Kräfte würden auf solche Weise bloß unnütz verschleudert. Um wie viel besser wäre ich als Ruderer auf einer Galeere aufgehoben!
    Ha! Wisst ihr beide, wovon ich rede? Ich hätte mich nicht gescheut, ordentliche Muskeln zu bekommen.

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