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Die Tochter des Königs

Titel: Die Tochter des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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vergangenen Nacht hatte sie wieder die Stimme ihrer Schwester gehört, der leise, klagende Ruf hatte über Meilen von Land und See und Zeit zu ihr gehallt.
    Können wir jetzt aufhören zu spielen? Eigon? Wo bist du? Bitte komm zurück. Ich hab Angst.
    Bei der Erinnerung fröstelte sie. Sie hatte schon sehr lange nicht mehr von Gwladys und Togo geträumt. Diese Träume waren erfüllt von rauschendem Wind und lodernden Fackeln in der Dunkelheit des Bergs. Viel häufiger träumte sie von den sanften Hügeln in der Heimat ihrer Mutter, bevor sie ihrem Vater aufs Schlachtfeld gefolgt waren. Das waren Träume von Sonnenlicht und Lachen und unschuldigem Glück. Mit einem Seufzen schob sie die Stimme ihrer Schwester sacht beiseite. Sie hatte den offenen Eingang zum Garten fast erreicht, hörte das leise Plätschern des Wassers im Brunnen. In der Hitze ließen die Bäume ihr herbstlich goldenes und rotbraunes Laub hängen. Melinus war nach draußen gegangen, er stand mit Pomponia Graecina bei der Steinbank. Die beiden waren im Gespräch vertieft und bemerkten Eigon nicht.
    »Wie geht es ihm?« Melinus sah bekümmert drein. Im ersten Moment glaubte Eigon, sie sprächen über ihren Vater.
    Pomponia schüttelte den Kopf. »Mögen die Götter uns alle beschützen. Angeblich wird er den Tag nicht überleben.« Sie senkte die Stimme, und Eigon versuchte angestrengt zu lauschen. »Es heißt, dass er giftige Pilze gegessen hat. Wie es aussieht, ist es Agrippina schließlich doch gelungen, ihn zu beseitigen.«
    »Und wer folgt ihm nach?«
    »Agrippinas Sohn. Wer sonst? Ich vermute, Nero setzt sich probehalber schon einmal den goldenen Kranz des Kaisers auf. Sobald sein Stiefvater den letzten Atemzug getan hat, hat Rom einen neuen Kaiser. Dann sitzt ein Kind auf dem Thron, und es ist nicht einmal der rechtmäßige Erbe Britannicus.«
    »Ein Kind, das einflussreiche Verbindungen hat. Und ein Kind an der Schwelle zum Mannesalter.« Einen Moment herrschte angespannte Stille. »Wird Nero die von Claudius zugesicherte Freiheit für diese Familie ehren?«, fragte Melinus schließlich. Die römische Politik interessierte ihn nur, sofern sie von unmittelbarer Bedeutung für dieses Haus war.
    Eigon trat einen Schritt näher, damit ihr kein Wort entging.
    Pomponia Graecina zuckte mit den Schultern. »Ich denke, ihre Sicherheit ist durch Caradocs Krankheit gewährleistet.« Sie hatte sich angewöhnt, den Namen zu verwenden, mit dem auch die Familie ihn ansprach. »Ich bezweifle, dass irgendjemand ihn in seinem jetzigen Zustand als Bedrohung betrachtet. Neros Berater werden im Senat andere und dringendere Sorgen haben. Wenn Claudiusʹ Anhänger nicht aufpassen, wird sie zweifellos das gleiche Schicksal ereilen wie ihn. Es wird sich ein ganz neuer Klüngel bilden, der über das Reich herrscht.«
    Melinus nickte. Er stützte sich auf seinen Stab und schaute in den quadratischen Teich zu seinen Füßen. Die Oberfläche
des Wassers war glatt wie Öl. »Ich sehe viele Schwierigkeiten voraus, für Rom und für uns hier.«
    Am Morgen hatte er mit Cerys gesprochen. Als ihr die ganze Tragweite dessen, was er ihr erzählte, bewusst wurde, war sie außer sich gewesen vor Sorge. Seine Miene verfinsterte sich. Mit Gefühlen konnte er nicht gut umgehen, er hatte nicht gewusst, wie er sie trösten sollte.
    »Aber sicher wird der neue Kaiser Claudiusʹ Versprechen nicht zurücknehmen?«, fragte er jetzt nachdenklich.
    »Wer weiß, was er tun wird?« Pomponia Graecina rümpfte die Nase. »Glaubst du, dass Caradoc je wieder gesund wird?«
    Melinus schüttelte den Kopf. »Ich habe all mein Wissen angewendet, aber es hilft nichts. Und jetzt bringe ich Eigon alles bei, was ich weiß.« Er warf einen kurzen Blick zum Eingang, und Eigon zog sich hastig in den Schatten zurück. »Sie lernt schnell. Sie ist ein kluges Mädchen, und wichtiger noch, sie hat den Segen Brigids. Sie ist eine geborene Heilerin und hat Hände, die ihr wahre Heilkraft geben, aber offenbar kann selbst sie ihn nicht von seinem Fieber befreien. Vielleicht ist es ihm bestimmt, hier zu sterben und zu Hause in Britannien zu einem anderen Leben wiedergeboren zu werden. Nur die Götter wissen, was die Zukunft bereithält.« Er hielt kurz inne. »Wenn es Götter gibt, die ich noch nicht angerufen habe, müsst Ihr mir von ihnen erzählen.«
    Pomponia Graecina trat näher zu ihm. »Es gibt in Rom einen Lehrer«, sie senkte die Stimme, »seit gut zehn Jahren ist er hier, und sein Ruf breitet sich immer mehr

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