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Die Tochter des Königs

Titel: Die Tochter des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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oberste Karte und drehte sie um. Es war der König der Kelche.
     
    Von Angst gepackt, setzte Jess sich auf und starrte in die Dunkelheit. Aus der Ferne hörte sie das Grollen eines Gewitters. War es das Unwetter, das sie geweckt hatte? Jetzt hörte sie durchs offene Fenster auch die Regentropfen, die in den Innenhof fielen. Im Zimmer war es stickig heiß. Stöhnend warf sie das Laken zurück. Ein Blitz erhellte das Fenster, und in dem Sekundenbruchteil sah sie eine Gestalt, die sich davor abhob. Sie stieß einen spitzen Schrei aus.
    Ein leises Klicken, ein schabendes Geräusch, dann herrschte Stille bis auf das Prasseln des Regens. Zitternd tastete sie nach dem Lichtschalter und knipste ihn an. Im Zimmer war nichts. Sie ging zum Fenster und schaute hinaus. Ein weiterer Blitz erhellte die Wolken über ihr, und in dem fahlen Licht konnte sie erkennen, dass der Innenhof leer war. Sie stützte sich auf das niedrige Fensterbrett und betrachtete ihre Hände. Sie waren nass. Sie sah auf den Fußboden. War das ein Fußabdruck oder nur Regen, der zum Fenster hereinfiel? Sie selbst war barfuß, der schwache Abdruck auf den Eichendielen stammte hingegen von einer strukturierten Sohle, die rund fünf Zentimeter länger war als ihre.
    »Jess?« Es klopfte leise an ihrer Tür. »Jess, darf ich rein?«

    Steph schlich ins Zimmer. Auch sie war barfuß, ihr Haar zerzaust. Sie trug einen Baumwollpyjama. »Ich dachte, ich hätte dich schreien hören.«
    Jess senkte den Blick. »Das habe ich auch. Tut mir leid. Ich habe mich selbst geweckt.« Sie zögerte. Gerade hatte sie noch sagen wollen, dass sie jemanden bei sich im Zimmer gehört hatte, aber dann schwieg sie doch. Der Abdruck war fast schon getrocknet. Gleich würde er ganz verschwunden sein. Vielleicht war es überhaupt kein Fußabdruck gewesen. »Der Donner muss mich geweckt hat. Und vom Regen ist der Boden ganz nass geworden.« Sie beugte sich hinaus und zog die Läden zu. Dabei sah sie unten auf dem Kiesweg eine Gestalt, im flackernden Blitz war sein Gesicht genau zu erkennen. »Daniel!«, hauchte sie.
    »Was?« Steph hatte sie gehört. »Jess, also wirklich! Daniel ist nicht mehr hier.« Sie trat neben sie ans Fenster. »Wo? Da ist doch niemand!«
    Jess schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Es war ein Schatten.«
    »Du bist wirklich ziemlich durch den Wind!« Liebevoll legte Steph einen Arm um sie. »Möchtest du was zu trinken?«
    »Nein, danke«, sagte Jess. »Ich habe doch nicht alle aufgeweckt, oder?«
    »Natürlich nicht. Mein Zimmer liegt direkt neben deinem, außerdem war ich sowieso wach.« Steph ging zur Tür, auf halbem Weg blieb sie stehen. »Du musst aufhören, dir alle möglichen Sachen einzubilden, Jess. Entspann dich. Freu dich, in Rom zu sein. Daniel ist längst zu Hause.«
     
    Am nächsten Morgen schlief Jess sehr lange. Als Steph auf der Suche nach einem Becher Kaffee in die Küche wanderte, war weder von ihr noch von William oder Kim etwas zu
sehen. Wahrscheinlich waren auch sie vom Gewitter aufgewacht, das sich mittlerweile längst über den Bergen in der Ferne ausgetobt hatte. Jetzt war der Himmel wieder strahlend blau. Steph machte eine Kanne Kaffee, schenkte sich einen Becher ein, setzte sich an den Küchentisch und holte ihr Handy aus der Tasche. »Megan? Wie geht’s dir? Darf ich dich um einen Gefallen bitten? Meine Zimmerpflanzen haben ihren Babysitter verloren.«
    In ihrem Waliser Farmhaus verdrehte Megan entnervt die Augen, doch ihre Stimme verriet nichts von ihrem Unmut. »Natürlich, ich fahre rüber und gieße sie. Wie geht’s Jess? Rhodri hat gestern angerufen. Er meinte, er mache sich Sorgen um sie.«
    Steph trank einen Schluck Kaffee. »Wirklich?«, fragte sie vorsichtig. »Hat er gesagt, warum?«
    Nach kurzem Zögern antwortete Megan mit einer Gegenfrage. »Ist Jess jetzt bei dir in Rom?«
    »Ja.«
    »Hat sie dir erzählt, was passiert ist?«
    Jetzt war es Steph, die ihre Worte sorgsam erwog. »Sie hat nichts Bestimmtes erzählt. Ich glaube, es hat ihr nicht gefallen, ganz allein dort zu sein. Sie sagte, es sei ein bisschen gespenstisch.«
    »Und dann erwartest du von mir, dass ich allein rüberfahre und deine Pflanzen gieße!«, sagte Megan.
    »Meg, du würdest jedes Gespenst vertreiben!« Steph lachte.
    »Ja, vermutlich schon«, stimmte Megan trocken zu. »Und jeden anderen, der sich dort herumtreibt, auch.«
    Steph setzte ihren Becher ab. »Ist noch jemand anderes dort gewesen?«
    »Ich glaube, sie hatte ein- oder zweimal Besuch.

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