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Die Tochter des Königs

Titel: Die Tochter des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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nach einem Laib Kastenweißbrot. »Magst du Jess und Steph holen?«
    Das war gar nicht nötig. Wenige Sekunden später erschien Jess in der Tür. Sie trug einen Morgenmantel, ihr Haar war durcheinander. »Er ist nachts hier gewesen!«, sagte sie heiser. »Schaut euch das an.« Sie warf ihren Skizzenblock auf den Tisch. Mit einem Blick auf ihr Gesicht griff William danach, öffnete ihn und blätterte die Seiten durch. Jede war verschmiert.
    »Guten Morgen allerseits.« Steph kam herein und schaute William über die Schulter. »Was ist passiert?«, fragte sie aufgeschreckt.
    William legte den Block auf den Tisch und blätterte weiter, damit alle Jess’ zarte Feder- und Tuschzeichnungen, Bleistiftskizzen und Aquarelle sehen konnten. Jedes einzelne Blatt war vollgekritzelt worden.
    »Jess.« Steph legte ihrer Schwester einen Arm um die Schultern. »Ich verstehe das nicht. Wie kann jemand so etwas tun?«
    William und Kim schauten auf das letzte Bild. Es zeigte eine junge Frau in einem langen Gewand mit Umhang, ihr Haar war mit blassrosa Schleifen zusammengebunden. Sie hatte schräg stehende, traurige Augen, ihr Haar hatte die Farbe von poliertem Gagat. Der Strich quer über die ganze Seite war so heftig, dass er das Papier aufgeschlitzt hatte.
    »Das kann nicht Daniel gewesen sein«, sagte Kim langsam. »Ich habe gestern Abend die Wohnungstür zweimal abgeschlossen.«
    »Dann muss er durchs Fenster gekommen sein.« Jess schaute zu William. »Er hat gesehen, dass ich nicht da war, und
hat die ganze Wohnung durchsucht, bis er mich gefunden hat.«
    William schüttelte den Kopf. »Ich habe einen Faden quer vors Fenster gespannt. Der war heute Morgen noch da. Und die Tür war noch von innen verschlossen.«
    »Aber … glaubt ihr denn nicht, dass er es war?« Jess schaute die anderen der Reihe nach an.
    »Ist es möglich, dass du es im Schlaf gemacht hast, Jess?«, fragte Kim sanft. »Du bist verständlicherweise sehr angespannt.«
    »Das ist nicht dein Ernst! Das würde ich nie im Leben!« Panisch sah Jess wieder in die Runde, dann wurde ihr Blick härter. »Ich konnte meine Tür nicht verschließen. Es gibt keinen Schlüssel.«
    »Das stimmt«, sagte William.
    »Also könnte jeder es getan haben.«
    »Heißt das, dass du uns verdächtigst?« Kims Lippen wurden schmal.
    »Nein, natürlich nicht. Aber ich war’s auch nicht.«
    »Komm, du Arme, setz dich, du zitterst ja.« Steph führte ihre Schwester zu einem Stuhl. »Leute, Jess braucht einen Kaffee, keine Vorwürfe. Ihre wunderschönen Zeichnungen sind ruiniert.«
    »Das war nicht Daniel, das war Eigon.« Auch Jessʹ Stimme zitterte. »Sie hat das schon einmal gemacht. In Ty Bran.«
    Alle starrten sie wortlos an.
    »Daniel war dabei, aber Rhodri auch. Sie hat meine Zeichnungen ruiniert und ein paar Gläser und Weinflaschen zerbrochen. Und als ich dann am nächsten Tag alles aufräumen wollte«, sie machte eine Pause und schüttelte hilflos den Kopf, »war alles wieder wie vorher. Kein Schaden, nichts.«
    Steph zog einen Stuhl zu ihr. »Und du sagst, Daniel hat das gesehen?«

    Jess nickte. »Und Rhodri auch. Das habe ich mir nicht eingebildet.«
    William stieß einen Pfiff aus, zog den Skizzenblock zu sich und blätterte die Seiten noch einmal durch. »Also, das wird sich nicht von Zauberhand richten.«
    »Ich ziehe mich an.« Jess schob den Stuhl zurück und stand auf. Sie nahm William den Block aus der Hand, griff mit der anderen nach ihrem Becher und verließ ohne ein weiteres Wort die Küche.
    Schweigend sahen sie ihr nach. »Gespenst oder Daniel?«, fragte Kim schließlich.
    »Sie könnte es selbst gemacht haben«, meinte William leise. »Ich glaube nicht, dass sie lügt. Wenn sie es wirklich getan hat, dann unbewusst. Du hast Recht, Kim, sie könnte es im Schlaf getan haben.« Nachdenklich schüttelte er den Kopf. »Daniel macht sie völlig verrückt. Wenn sie ihn wegen Vergewaltigung anzeigt, kann er seine Karriere abhaken«, sagte er langsam. »Also versucht er, ihre Glaubwürdigkeit zu zerstören. Sein Wort steht gegen ihres. Aber wenn auch nur der leiseste Zweifel besteht oder die Sache vor Gericht kommt, oder wenn in der Schule eine Anhörung stattfindet, dann ist seine Karriere vorbei, gleichgültig, was dabei herauskommt. Ihr wisst ja, wie das in solchen Fällen geht. Wenn er den Ehrgeiz hat, eines Tages selbst Rektor zu werden, könnte er das vergessen. Wenn Jess aber völlig diskreditiert wäre und niemand ihr ein Wort glaubt, würde das seinen Hals

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