Die Tochter des Königs
Stirnrunzelnd zog er sich an den Straßenrand in den Schatten eines Baumes zurück, denn ein weiterer Wagen näherte sich. Dieser holperte allerdings an ihm vorbei aufs offene Land hinaus. Freilich, er hatte nicht geahnt, wie sehr der Kerl in diese Julia verliebt gewesen war. Taktisch war es wohl ein Fehler gewesen, ihm aufzutragen, sie an dem Tag beim Aufbruch nach Rom hinzuhalten, so dass sie ohne ihn fuhr. Offenbar war er ein besserer Kenner des weiblichen Charakters als Flavius, er hatte gewusst, dass sie eher allein gehen würde, als auf ihr Vergnügen zu verzichten. Aber womöglich hatte er damit Flavius’ Misstrauen geweckt. Auf jeden Fall war der Junge, solange er über die dumme Gans geheult hatte, monatelang zu nichts nutze gewesen. Titus verzog das Gesicht zu einem breiten Lächeln, als er sich an den Tag erinnerte.
Er spürte, dass er hart wurde. Die Sache mit Julia hatte ihn mehr erregt, als er je für möglich gehalten hatte, und jetzt war endlich der ersehnte Moment gekommen. Bald würde sich das alles wiederholen.
Allerdings würde es weit schwerer sein, Eigon aus ihrem Versteck zu locken. Eine richtige Herausforderung. Er schaute zum Tor hinüber. Es standen zwar Wachposten in der Nähe, so viel hatte er herausgefunden, doch sie trieben sich im Schatten herum, ohne groß achtzugeben. Wenn er in seiner schneidigen Uniform durchs Tor ritt, würden sie ihn nur an die Haussklaven verweisen und auffordern, zum Villeneingang zu reiten. Er band sein Pferd los und schwang sich in den Sattel. Eigon würde ihn nicht sehen, ihr Tagesablauf war immer gleich. Den ganzen Vormittag verbrachte sie in ihren Zimmern und verarztete eine endlose Schlange von kranken Bauern und Sklaven. Ohne Bezahlung anzunehmen, schenkte sie ihnen ihre ungeteilte Aufmerksamkeit, ihr sanftes Lächeln, ihre Salben und Pillen und Heiltränke, bis ihr Vater aufwachte und nach ihr verlangte. Bei den Göttern, das Mädchen würde ihm noch dankbar sein dafür, dass er ihr in ihren letzten Stunden auf Erden etwas Aufregung bot. Er trabte auf das Tor zu, blieb kurz dahinter stehen und wartete, dass jemand ihn ansprach.
»He da!«, rief er herrisch. »Ist da jemand?«
Der Unterstand, in dem üblicherweise der Torwächter saß, war unbemannt. Titus schnaubte verächtlich. Wenn es so einfach war, würde er sich betrogen vorkommen. Das stundenlange Planen, die vielen Träume sollten reine Zeitverschwendung gewesen sein? Er hätte einfach hereinspazieren und sie ungehindert mitnehmen können?
»Herr, kann ich Euch behilflich sein?« Bei der Stimme, die hinter ihm erklang, fuhr er zusammen. Also wurde das Tor doch bewacht. Sein Pferd tänzelte nervös auf der Stelle,
ungeduldig riss er am Zügel. Der Mann ergriff das Zaumzeug und tätschelte dem Pferd beruhigend die Nüstern. »Verzeiht, dass niemand da war, um Euch zu empfangen. Die Wachposten begleiten gerade einen Wagen hinters Haus. Möchtet Ihr zu König Caradoc?« Er war ein Sklave, aber tadellos gekleidet und zuvorkommend. Titus zügelte sein Pferd noch mehr, so dass der Sklave gezwungen war, die Hand vom Zaumzeug zu nehmen. »Ich möchte seinen Haushofmeister Aelius sprechen«, sagte er barsch. »Nicht nötig, den König zu behelligen.«
Der Sklave nickte und streckte wieder die Hand nach dem Zaumzeug aus. »Herr, wenn Ihr absitzen und zur Tür gehen würdet, ich schicke jemanden, der ihm ausrichtet, dass Ihr gekommen seid.«
Titus blieb reglos im Sattel sitzen. »Ruf ihn her«, befahl er.
Der Sklave runzelte die Stirn, drehte sich aber wortlos um und verschwand zwischen dem Säulengang im Inneren des Hauses. Titus sah ihm aus zusammengekniffenen Augen nach. Er nahm kein einziges Lebenszeichen wahr, keine Hunde, keine eilfertigen Dienstboten. Es hatte den Anschein, als würde das Haus schlafen, aber das bedeutete nicht, dass nicht dennoch Wachen da waren.
Als der Sklave wieder erschien, war er allein, wie Titus erwartet hatte. »Es tut mir leid, Herr, Aelius ist am frühen Morgen in die Stadt aufgebrochen. Er wird erst am Abend zurückerwartet. Möchtet Ihr mit jemand anderem sprechen?«
Titus schüttelte den Kopf. »Ich komme ein anderes Mal wieder.« Ohne Gruß machte er kehrt und trabte zum Tor. Der Sklave würde ihn wiedererkennen, aber das tat nichts zur Sache. Er lächelte in sich hinein, trieb sein Pferd auf der gepflasterten Straße zum Galopp an und jagte Richtung Stadt zurück.
»Signorina!« Das Klopfen an der Tür hallte laut durch das Zimmer. »Da will jemand am
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