Die Tochter des Königs
ihnen allen graute, denn weiter konnte man sich von Rom kaum entfernen, ohne über den Rand der Welt hinabzufallen. Er schauderte. Die wilden keltischen Frauen mit den langen Haaren und den hellen, spöttischen Augen, mit denen sie die Männer verführten. Und sogar die Kinder waren begehrenswert, die Kinder des Feindes, die unterworfen und bestraft und vernichtet werden sollten. Aber sie hatte sich nicht vernichten lassen. Sie war herangewachsen, um ihn aus ihren vorwurfsvollen Augen zu beobachten, um ihn wiederzuerkennen und seine Stellung, seine Zukunft, sein Leben zu gefährden.
Also, Titus, wo ist sie? Du musst sie finden, denn ich kann’s nicht. Daniel richtete sich auf, schloss die Augen und lehnte den Kopf an die Nackenstütze. Ich finde sie nicht. Sie ist weg. Geflohen. Wenn du willst, dass ich sie umbringe, musst du mir helfen. Unvermittelt riss er die Augen auf und starrte zur Windschutzscheibe hinaus. Und was hast du mit ihr gemacht, Titus? Was hast du gemacht, als du sie schließlich in deiner Gewalt hattest? Hast du deine Fantasien ausgelebt? Hast du sie vergewaltigt und gefoltert und umgebracht? War es ihr Geist, der dir entkommen ist? Geht es bei dieser ganzen Sache nur darum? Selbst als deine Hände um ihren Hals lagen, hat sie dir da lächelnd in die Augen geschaut im Wissen, dass du ihr nicht folgen kannst dorthin, wohin sie geht?
Julius schloss die Tür zur Kräuterkammer und trat zu Eigon. Er war außer Atem, sein Gesicht war blass. Sie drehte sich zu ihm und streckte lächelnd die Arme aus. »Julius?« Ihr Lächeln verblasste. »Was hast du? Was ist passiert?«
»Eigon, fehlt dir auch nichts? Hat es hier draußen keine Probleme gegeben? In den Straßen Roms wimmelt es vor Soldaten. Nero hat einen Rachefeldzug gegen die Christen geschworen. Er wirft uns vor, wir hätten Rom in Brand gesetzt. Er treibt uns alle zusammen. Unsere Bekannten, unsere Freunde sind in den Kerker auf dem Esquilin gebracht worden. Sie sollen den Tieren vorgeworfen werden.« Tränen standen ihm in den Augen. »Er ist wahnsinnig, völlig wahnsinnig.«
Er legte die Arme um sie und drückte seine Wange auf ihr Haar. »Ach, Eigon, was sollen wir bloß tun?«
Einen Moment überließ sie sich seiner Umarmung, dann schob sie ihn von sich. »Dein Großvater? Und Antonia? Wo sind sie?«
»Mein Großvater ist fort, das Haus liegt in Schutt und Asche. Er ist mit den Sklaven aufs Land gegangen. Ich glaube, dass er in Sicherheit ist - aber wer weiß? Ich verstehe nicht, warum es dazu kommen musste.« Fassungslos schüttelte er den Kopf.
»Und Antonia? Wo ist sie? Ich habe sie zu überreden versucht, hierzubleiben, aber sie wollte nicht. Sie hat sich zu große Sorgen um euch gemacht.« Eigon sah ihm fest in die Augen. »Wo ist sie, Julius?«
Er zuckte hilflos mit den Schultern. »Ich weiß es nicht.« Seine Stimme war so heiser, dass er kaum zu verstehen war. »Deswegen bin ich ja hergekommen. Ich weiß, deine Mutter hat mir Hausverbot erteilt, aber sie hat Antonia sehr gern. Deswegen wird sie meine Sorge bestimmt verstehen.«
»Natürlich.« Eigon tat das Verbot ihrer Mutter mit einer Handbewegung ab. »Wo hast du schon nach ihr gesucht?«
»Überall. Und ich habe überall nachgefragt.«
»Wird sich Antonia nicht zu eurem Landgut begeben haben? Das ist doch im Augenblick bestimmt der sicherste Ort.« Ihr Unbehagen wuchs. »Was ist mit Petrus?«, fragte sie dann.
»Er ist momentan in Sicherheit. Ich glaube nicht, dass Nero es wagen wird, gegen ihn vorzugehen.«
»Könnte sie bei ihm sein?« Eigon umfasste Julius′ Hände. »Zu ihm würde sie doch als Erstes gehen, oder nicht? Als sie sah, dass euer Haus nicht mehr steht, und als sie kein Lebenszeichen von dir oder eurem Großvater gesehen hat, ist sie doch sicher zu ihm geflohen. Oder zu Paulus. Ist er noch in Rom?«
Julius wiegte den Kopf. »Das wäre möglich. Alles ist ein einziges Durcheinander. Ich mache mich jetzt auf den Weg und suche weiter nach ihr. Aber du, Eigon.« Er schaute sie an. »Ich glaube nicht, dass du hier sicher bist. Deswegen bin ich gekommen. Du musst dich verstecken. Die Leute tuscheln, dass du Christin geworden seiest. Du bist zu oft bei uns zu Besuch gewesen, du hast Petrus zu Füßen gesessen.«
»Und ich rette mich immer noch in Ausflüchte.« Sie lächelte bekümmert. »Petrus betrachtet mich als Herausforderung, aber ich habe ihm gesagt, dass ich die Götter aus der Heimat meiner Mutter und meines Vaters nicht aufgeben kann.« Sie stellte
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