Die Tochter des Königs
gefragt würde, würde er sich daran erinnern. Und er würde sich auch sehr genau an den Wagen erinnern, in den die beiden eine Weile später im Hof des Gasthauses stiegen.
Kapitel 27
R hodri ließ Stephs letzte Tasche auf den Küchenfußboden fallen. Kurz sah er sich um. Das Haus wirkte ganz normal. Offenbar war in ihrer Abwesenheit nichts Schlimmes passiert. »Wenn du nichts dagegen hast, fahr ich gleich weiter nach Hause. Ich bin völlig erledigt.« Er grinste. »Wir telefonieren morgen, ja?«
Sie nickte. Aus Rhodri und ihr waren auch auf der Fahrt quer durch halb Europa keine Freunde geworden. Sie hatten sich fast die ganze Zeit gestritten und waren bei allem unterschiedlicher Meinung gewesen: was sie wegen Jess unternehmen, wie sie wegen Daniel vorgehen, welche Route sie nehmen sollten. Zum Schluss hatten sie sich immer wieder am Steuer abgelöst und waren mehr oder weniger nonstop gefahren.
»Wir hätten das Auto stehen lassen und fliegen sollen«, sagte Steph jetzt erschöpft.
»Zu viel Gepäck.« Neben ihren eigenen Koffern und Taschen hatten sie auch noch Jess’ Gepäck.
Sie lächelte matt. »Bis später, Rhodri. Grüß deine Mutter von mir. Morgen oder übermorgen schaue ich mal vorbei.«
Sie sah ihm nach, wie er wieder ins Auto stieg, wendete und zum Tor hinausfuhr, dann ging sie langsam in die Küche. Der Kühlschrank würde natürlich leer sein. Vermutlich gab es überhaupt nichts zu essen im Haus.
Seufzend trat sie ans Fenster und schaute hinaus. »Tja, Eigon, meine Liebe. Bist du noch hier mit deiner Kinderstimme und deiner Lust daran, meine Keramik durchs Atelier zu werfen?«, sagte sie laut. Sie bekam keine Antwort. Sie drehte sich um und ging ins Esszimmer. Das Fenster, von dem Jess gesagt hatte, es sei zerbrochen, war repariert worden. Der Handwerker hatte die Rechnung auf den Tisch gelegt. Das Gras auf dem kleinen Rasen hinter dem Haus war knapp einen halben Meter hoch gewachsen. Sie seufzte wieder. Das Haus kam ihr sehr leer vor.
Sie ging in die Küche zurück, nahm den Hörer ab und wählte Jess’ Mobilnummer. Es war ausgeschaltet. Sie versuchte es mit Williams. Sein Handy war ebenfalls aus. Na, toll!
Sie schloss die Tür zum Durchgang auf und ging ins Atelier. Wie immer war es dort staubig, es roch nach Ton, Farbe und Lasur. Steph ging zur Werkbank und fuhr mit dem Finger über die Oberfläche, blies den Staub von den Regalen, auf denen die Stücke standen, die für die Galerie in Hereford und die Boutique in London bestimmt waren. Abgesehen von der einen Kiste mit den zerbrochenen Keramiken wirkte alles unberührt. Alles war so, wie sie es zurückgelassen hatte. Plötzlich empfand sie den unbändigen Wunsch, wieder zu arbeiten, das Atelier mit Leben zu füllen, den Brennofen einzuheizen.
Wo bist du?
Die Stimme war so leise, dass sie sie beinahe überhört hätte. Sie spürte, wie sie sich anspannte.
Wo bist du? Können wir jetzt rauskommen?
»Scheiße!«, fluchte Steph laut. »Nein, das dürft ihr nicht, verdammt nochmal! Verschwinde! Lass mich in Ruhe. Reicht es nicht, dass du Jess das Leben in Rom zur Hölle machst? Lass uns einfach in Frieden!«
Sie marschierte zum Atelier hinaus, knallte die Tür hinter sich ins Schloss und ging in die Küche zurück. »Du wirst mich nicht aus meinem geliebten Haus vertreiben, und du wirst mir keine Angst einjagen, ist das klar? Ich höre dir nicht zu. Nein, nein und nochmals nein!«
Stück für Stück schleppte sie das Gepäck die Stufen hinauf. Jess’ Taschen stellte sie in das Zimmer, das ihre Schwester offenbar bewohnt hatte, ihre Sachen brachte sie in ihr eigenes Schlafzimmer. Sie ließ alles auf den Boden fallen und sah sich um. Auf dem Bett lag eine formlose, kaputte Puppe. Steph überlief ein eiskalter Schauder. Einen Moment war sie so verängstigt, dass sie sich nicht bewegen konnte. Lachend schüttelte sie das Gefühl dann ab. Natürlich, Jess musste die Puppe für sie hingelegt haben. Ein Scherz? Ein Geschenk? Wer konnte das bei Jess schon so genau wissen?
Sie nahm die Puppe in die Hand. Sobald sie sie berührte, erstarrte sie wieder vor Angst, die Puppe fiel zu Boden. Stephs Hände zitterten vor Entsetzen. Die Puppe war nass, frisches Moos und Blätter klebten an ihr. Steph starrte auf sie hinunter, roch das feuchte, modrige Laub. »Scheiße!« war das Einzige, das sie noch hervorbringen konnte. Sie machte auf dem Absatz kehrt, lief die Treppe hinunter und zur Haustür hinaus. Draußen war die Luft frisch und sauber, der
Weitere Kostenlose Bücher