Die Tochter des Königs
der Reihe.« Lächelnd stand sie auf und legte ihm die Arme um den Hals. »Wir haben wirklich großes Glück, dass wir einander haben, Brian.« Sie küsste ihn zärtlich auf die Lippen.
Brian zog sie an sich und gab ihr einen liebevollen Kuss, dann drehte er sich um und zog sie mit sich zur Tür hinaus. »Bad und Bett«, flüsterte er. »Nicht unbedingt in der Reihenfolge!« Er wusste, dass sie telefoniert hatte. Er hatte gehört, wie sie den Hörer zurücklegte.
In jeder anderen Jahreszeit wäre es unmöglich gewesen, in der Nähe von Williams Wohnung einen Parkplatz zu finden. So spät am Abend hätten zu beiden Seiten jeder Straße Autos Stoßstange an Stoßstange gestanden. In den Sommerferien allerdings fuhren viele weg, um der Hektik und der Hitze der Großstadt zu entkommen, und so ließ sich bisweilen der eine oder andere Platz finden. Trotzdem suchte Jess mehrere Minuten, bis sie ihren kleinen Ford schließlich zwei Straßen weiter abstellen konnte. Sie stieg aus, verschloss die Tür und ging dann durch die Sommernacht die mit Kirschbäumen gesäumten Bürgersteige entlang, wich dabei Schuttcontainern und Mülltonnen und heimkehrenden Kneipenbesuchern aus. Die Luft war lau und erfüllt vom Duft des Sommers, irgendwo in der Nähe blühten Lindenbäume, es roch sogar nach frisch gemähtem Gras, sehr ungewöhnlich in dieser ausgesprochen urbanen Umgebung. Jess bog um die Ecke, folgte dem früher so vertrauten Weg zu Williams Wohnung und schaute dann mit einem sehnsüchtigen Stich, der sie selbst überraschte, zu seinen Fenstern. Es brannte kein Licht. Sie sah auf ihre Uhr. Es war kurz vor Mitternacht. Ob er wohl etwas dagegen hätte, wenn sie ihn weckte? Er war bestimmt genauso müde wie sie. Sie nahm all ihren Mut zusammen, lief die Treppe zu seiner Haustür hinauf und drückte auf die Klingel. Keine Antwort. Zum ersten Mal tat es ihr bitter leid, dass sie ihm die Schlüssel hingeschleudert hatte, als sie endgültig akzeptiert hatte, dass ihre Beziehung zu Ende war. Sie läutete
noch einmal, dann machte sie mit einem enttäuschten Seufzen kehrt und ging zum Auto zurück. Vielleicht war er doch gleich nach Cornwall gefahren.
Da sie schon einmal einen Parkplatz gefunden hatte, beschloss sie, die Nacht dort zu verbringen. Sie machte es sich auf dem Beifahrersitz so bequem wie möglich, spielte leise ihre CDs, während der Verkehrslärm, der von der Hauptstraße herüberdrang, allmählich nachließ. In den frühen Morgenstunden kam er fast völlig zum Erliegen, bis auf das eine oder andere Auto oder Motorrad, das es offenbar darauf anlegte, die halbe Stadt zu wecken. Zweimal spielte Jess Caractacus , lächelte leise, wann immer Rhodris Bariton durch den Wagen schallte, wenn auch der Anwohner wegen sehr leise. Jess gestand sich kaum ein, wie tröstlich sie es fand, seine Stimme zu hören. Dann legte sie eine ruhigere Musik auf. Irgendwann in der Dämmerung, als eine Amsel in dem Garten, vor dem sie parkte, ihr Morgenlied anstimmte, schaltete Jess den CD-Spieler aus und fiel zum Gezwitscher des Vogels in einen unruhigen Schlaf.
Als sie Lugdunum erreichten, verließen Eigon, Drusilla und Commios den Flussfrachter und folgten einer geraden, gut gepflasterten Straße, die quer durch Gallien nach Nordwesten führte. Sie hatten einen Maulesel gekauft, der bereitwillig ihre Habseligkeiten trug und dazu abwechselnd eine der beiden Frauen. Jeden Abend fanden sie eine taberna oder zumindest ein mansio , wo sie zu essen und ein mehr oder weniger sauberes Bett bekamen. Wie das Gesetz es ihnen erlaubte, baten sie ein paarmal um Quartier in einem Bauernhaus oder einer Villa, die an der Straße lagen. Bisweilen wurden sie großzügig und freundlich empfangen, bisweilen aber auch sehr schroff.
Zweimal überholte sie auf der Straße eine Reiterschwadron, die im schnellen Trab an ihnen vorbeiritt und sie in einer Staubwolke zurückließ. Beim zweiten Mal blieb Commios stehen, rieb dem Maulesel die Nüstern, um ihn zu beruhigen, und drehte sich zu Eigon um, die unbeirrt, eine Hand auf der Flanke des Maulesels, hinter ihm hergegangen war. Drusilla schien im Sattel zu schlafen. »Weißt du, vielleicht sollten wir die Straße verlassen, wenn wir sie kommen hören. Nur für den Fall. Wir wissen ja nicht, welchen Einfluss dein Freund Titus hat, oder? Könnte er Kundschafter vorausschicken, die nach uns Ausschau halten?«
Mit hängenden Schultern blieb Eigon stehen. Sie war erschöpft. »Ich würde ihm alles
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