Die Tochter des Leuchtturmmeisters
aus dem Taxi.«
Sie machte eine Pause, bevor sie weitersprach.
»Entschuldige, wenn ich störe, aber man hört mir nicht zu«, sagte die alte Frau. Karin versuchte die erregte Stimme mit einem Gesicht in Einklang zu bringen, und schließlich fiel ihr ein, dass es sich um Marta Striedbecks Nachbarin, die Frau im Rollstuhl, handelte.
»Kein Problem«, sagte Karin.
»Irgendwas stimmt nicht, aber wie gesagt, keiner hört mir zu. Das ist der Nachteil, wenn man alt wird. Die Leute glauben, man sei senil, und nehmen einen nicht mehr ernst.«
»Was stimmt denn nicht?«
»Bei Marta. Ich weiß, dass etwas passiert sein muss. Wir lösen immer Kreuzworträtsel zusammen.«
»Doris, erklär es bitte so, dass ich’s verstehe.«
»Ja, ja.« Es klang, als hätte Doris Eile. »Marta und ich treffen uns immer montags, um das Kreuzworträtsel in der
Allers
zu lösen. Entweder sitzen wir bei mir, oder wenn ich bei meiner Tochter bin, rufe ich Marta an, und wir lösen es am Telefon. Das haben wir in den vergangenen Jahren jeden Montag gemacht.«
»Und?«, sagte Karin.
»Sie geht nicht ran. Ich rufe an, und niemand nimmt ab.«
»Vielleicht ist sie aus dem Haus gegangen«, schlug Karin vor.
»Niemals. Sie würde das einfach nicht verpassen«, sagte Doris.
Karin hörte eine andere Stimme im Hintergrund.
»Aber Mama … wen rufst du da an?« Karin verstand, dass es sich um Doris’ Tochter handelte.
»Ihr müsst es mir glauben. Irgendetwas ist passiert. Ja, Karin, entschuldige bitte, aber ich würde dich wirklich nicht anrufen, wenn ich eine bessere Lösung für das Problem wüsste. Ich mache mir Sorgen, dass sie rausgegangen sein könnte, um Holz zu holen, vielleicht ist sie ausgerutscht … oder …«
Karin dachte an die verräterisch glatten Schieferplatten vor Martas Holzschuppen.
»Mach dir keine Sorgen, Doris. Ich sehe nach ihr«, sagte Karin beruhigend.
Auch wenn sie nicht mehr als die Dreiviertelstunde mit Doris geredet hatte, die das Taxi bis Göteborg gebraucht hatte, glaubte sie nicht, dass die alte Dame der Typ Frau war, der jemanden unnötigerweise mit Anrufen belästigte. Karin dachte an ihre eigene Großmutter, die immer befürchtete, sie könnte jemanden behelligen, und deshalb versicherte sie Doris, dass sie, sobald sie eine Möglichkeit dazu sah, bei Marta vorbeigehen und sich dann bei ihr zurückmelden würde. Allerdings verriet sie nicht, dass sie sich bereits auf dem Weg nach Marstrand befand.
Odense, Dänemark, 1964
Der Sohn wurde im dänischen Odense geboren. Ein kleiner Kerl von 2,6 Kilo. Siri sah das Bündel überhaupt nicht erst an, sondern bat die Schwestern, es wegzubringen. Sie wollte das da gar nicht erst anfassen und würde auch später immer nur an »das« denken und nicht an »ihn«.
Zwei Kinder waren in jener Nacht in der dänischen Entbindungsklinik zur Welt gekommen. Ein Mädchen und ein Junge. Es hatte ein Unwetter ohnegleichen gegeben. Blitze hatten einen Stromausfall verursacht, und auf ganz Fünen waren die Lichter erloschen. Drei Tage später kam ein kinderloses Paar in die Klinik. Der Mann sah den Jungen an, und die kleinen Hände umfassten seinen Zeigefinger. Das Herz in der Brust des Mannes machte einen Sprung. Vorsichtig hatte er den Jungen hochgehoben und ihn mit heimgenommen. Sie hatten ihn aufgezogen, als wäre er ihr eigener Sohn.
Einen Monat nach der Entbindung hatte Siri ihre Figur wieder einigermaßen zurückerhalten und saß im Zug nach Schweden. Blixten hatte gewartet, aber alles war kaputt, war anders. Irgendetwas schien zerbrochen zu sein. Nie mehr würde sie zulassen, dass ein Mann über ihr Leben bestimmte. Von jetzt an sollte alles, was sie tat, ihr selbst und ihrer Tochter Diane zugutekommen.
18.
Fischer Yngve Jansson ging leicht gekrümmt. Der Mann sah wirklich aus wie jemand, der sein Leben lang auf einem Kutter gestanden und über die Reling in die Tiefe geblickt hatte, um dann, ohne einen Griff zu viel, Reusen und Hummerkörbe nach oben zu holen. Sein Gesicht war wettergegerbt, und obgleich Karin vermutete, dass er über fünfundsechzig war, sah er zäh und stark aus. Seine lebhaften Augen waren blau und schienen alles zu registrieren und zu studieren.
Karin wusste, dass manch einer das Fischerleben für friedvoll hielt. Solange die Sonne schien und der Wind nicht zu stark blies, traf das wohl auch zu, doch wenn die Herbststürme einsetzten und die Dunkelheit so früh anbrach, dass man es noch nicht geschafft hatte, all sein Fanggerät zu
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