Die Tochter des Leuchtturmmeisters
riskant«, sagte Per und schaute Rob an.
»Und Karin?«, fragte der.
»Wir müssen es der Besatzung des Hubschraubers überlassen, sich um das Lotsenboot zu kümmern. Wir können nur versuchen, nach Hamneskär reinzukommen, um dort Schutz zu suchen. Schon das ist riskant. Bei diesem starken Wellengang ist es schwierig, die schmale Hafeneinfahrt zu passieren.« Per wirkte ernst und entschlossen.
Rob fragte sich, ob er wirklich an das glaubte, was Per soeben gesagt hatte. Dass die Hubschrauberbesatzung etwas tun könnte. Die Wellen waren viel zu hoch, als dass man jemanden von einem Schiff heraufziehen oder sich zu ihm hinunterfieren konnte, zumal es in der tosenden See hin und her geworfen wurde. Der Wind machte keinerlei Anstalten abzuflauen, und Rob dachte an Karin, als Per in das Hafenbassin steuerte und die schützenden Piers sie umgaben. Seine Beine schlotterten, als er auf dem Kai stand.
Karin hatte dem Mann, der ihr befohlen hatte, auf die Knie zu gehen, den Rücken zugekehrt. Das Klebeband haftete auf ihren trockenen Lippen, und sie spürte den Geschmack von Blut im Mund.
Soll es wirklich so enden?, dachte sie. Ihre Großmutter fiel ihr ein. »Polizistin zu werden, ist das nicht schrecklich gefährlich?«, hatte sie gefragt, als Karin mit ihrer Ausbildung anfing. Karin hatte ihr versprochen, immer vorsichtig zu sein. Jetzt faltete sie die Hände und versuchte an Gott zu denken.
Als dann durch den Abend, der in die Nacht übergegangen war, ein Schuss krachte, schloss Karin die Augen. Das Donnern der Wellen umgab sie, und dennoch fühlte sie sich hier zu Hause, im westlichen Bohuslän auf einer kleinen Felsinsel mitten im tosenden Meer.
Rob drehte sich bei dem Schuss entsetzt um. Hinter ihm stand Marta, das Gewehr noch immer in der Hand. Ihr Gesicht war starr und konzentriert.
»So hat er am Ende seine Strafe bekommen«, sagte sie. Er hatte sie all die Jahre nicht wiedererkannt, sie aber konnte das Gesicht des Deutschen nie vergessen, der sie in jener Nacht im Lager einfach benutzt hatte.
In diesem Moment wurde Rob auf die Gestalt an der Hauswand aufmerksam, die Jacke erkannte er nur zu gut wieder. Ihm war, als bewege er sich im Zeitlupentempo, als er versuchte, dorthin zu rennen, vielleicht aber war auch der starke Wind schuld an diesem Gefühl.
»Karin!«, brüllte er. »Karin.«
Sie hockte zusammengekrümmt und zitternd am Boden, die Hände gefesselt und den Mund mit Klebeband verschlossen. Rob nahm sie in die Arme und strich ihr die Haare aus dem Gesicht. Er wiegte sie hin und her und sprach beruhigend auf sie ein. Lange saßen sie so, bis er das Klebeband mit einem Ruck von ihren Lippen riss.
»Au!«, schrie Karin. »Bist du verrückt?« Tränen liefen ihr über die Wangen.
»Aber so machst du es doch mit Pflaster immer«, sagte Rob.
»Mit Pflaster, ja, aber hat das etwa wie ein Pflaster ausgesehen?«
Dann lachte sie mitten im Weinen. Ein nervöses, erleichtertes Lachen, weil sie noch immer unter den Lebenden weilte.
Der Mann, der dort am Boden lag, hatte keinen Puls, und seine kalten grauen Augen starrten blicklos in den klaren Sternenhimmel. Rob nahm die Pistole, die Waldemar in der Hand gehalten hatte.
»Sie sind entkommen«, sagte Karin. »Sie haben die Kisten ins Lotsenboot geladen und sind ohne Waldemar abgehauen. Die Frage ist nur, wohin sie es bei diesem Wind schaffen.«
»Wer außer Waldemar war dabei?«, fragte Rob.
»Lasse und Sten, der ehemalige Polizist.«
Elin hockte sich zu ihnen, und Rob berichtete, wer sie war. Elin Stiernkvist. Die beiden Frauen sahen sich erstaunlich ähnlich, als seien sie die jüngere und ältere Version derselben Person.
»Wollen wir reingehen?«, fragte Elin. »Wenn wir Glück haben, finden wir einen Schlüssel. Ich kenne hier alle Verstecke.«
Und in der Tat fand Elin einen Schlüssel, der sich willig in dem alten Schloss umdrehen ließ. Sie machte Feuer im gusseisernen Küchenherd. Unterdessen holte Per Tee und Knäckebrot aus dem Boot. Dann saßen sie dort zusammen, während der Sturm seinen Höhepunkt erreichte. Als es gegen vier Uhr morgens langsam hell wurde, nahm Elin die alte Petroleumlampe und ging in den Vorratskeller, wo sie lange Zeit blieb.
Die dänische und schwedische Küstenwache hatten am Morgen vergeblich nach Überlebenden des Lotsenboots gesucht, das in den dunklen Nachtstunden vermutlich in derTiefe verschwunden war. Ein Hubschrauber hatte beim Hellwerden die Rettungsinsel des Lotsenboots gesichtet, die nördlich des
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