Die Tochter des Magiers 01 - Die Diebin
jetzt ganz nah. »Freue dich, Inanna, denn dein Gemahl wird heute zu dir kommen!«
Er musste im Eingang der Kammer stehen. Kamen sie etwa hier herein? Maru hielt den Atem an.
»Sei ihm eine gute Dienerin, denn er ist dein Mann, ein Abkömmling von Göttern, ein Fürst unter den Toten.«
Kein Zweifel, der Sänger stand an der Schwelle zur Kammer, seine Worte hallten von den Wänden wieder. Maru versuchte, sich noch kleiner zu machen. Da entfernte sich die Stimme wieder, und Maru atmete auf.
»Verneigt euch, ihr Toten, denn Fürst Utu-Hegasch wird eure Stadt heute betreten«, schallte es draußen aus dem Gang. »Begrüßt ihn, ihr Ahngötter der Hegasch, denn er ist einer von euch.«
Maru atmete erleichtert auf. Der Sänger war nur der Erste einer ganzen Horde, die sich in die Grabanlage schob. Maru kämpfte mit der Versuchung, noch einmal einen Blick zu wagen, aber sie widerstand. Sie sah das Licht einer langen Reihe von Fackeln auf der Rückwand der Kammer tanzen und lauschte. Kurz hinter dem Sänger schritt eine Gruppe von Männern, die offenbar etwas Schweres trugen, denn sie stöhnten wie unter einer großen Last. Es folgten viele Krieger. Maru hörte das metallische Rasseln ihrer Rüstungen. Und wieder kamen unter schwerer Last keuchende Männer. Waren es jene, die die Opfergaben brachten?
Maru wartete in ihrem Versteck, und die Zeit verrann nur langsam. Weit entfernt klang die hohe Stimme des Vorsängers durch die Gänge. Soweit sie ihn verstehen konnte, pries er die Heldentaten des Raik. Dann sprachen andere. Maru versuchte, die Stimmen zu unterscheiden. Der Immit sprach, sein stets verletzender Unterton war gut herauszuhören. Es folgte die schneidende Stimme
von Abeq Mahas. Sie wartete auf Numur, der immer etwas zu schnell zu reden pflegte, aber der schien nichts sagen zu wollen. Dafür ergriffen andere das Wort und schienen kein Ende zu finden. Plötzlich erklangen ganz in der Nähe Schritte. Zwei Männer kamen den Gang herunter. Es waren Krieger, wie Maru am leisen Klirren der Rüstungen hören konnte.
»Das ist weit genug«, sagte einer.
Die Männer schienen direkt vor der Kammer zu stehen. Maru kannte diese Stimme. Aber woher?
»Er hat sich also entschieden?«, fragte der andere Mann.
»Ja, es ist beschlossen: Schaduk soll nicht lebend durch das Tor des Brond gelangen.« Jetzt wusste Maru es wieder: Das war Schab Emadu, Numurs Vertrauter, den sie in der Waffenkammer gesehen hatte.
»Es wurde aber auch Zeit. Ich ertrage es nicht eine Stunde länger, diesen verfluchten Immit auf dem Thron sitzen zu sehen.«
»Es liegt jetzt in deiner Macht, das zu verhindern«, sagte Emadu.
»Ich werde dich nicht enttäuschen!«
»Gut, dann beeil dich.«
Die Schritte entfernten sich in zwei verschiedene Richtungen. Einer schien zurück zur Beisetzung zu wollen, der andere lief aus der Grabanlage hinaus.
Also geht es weiter, dachte Maru in ihrem Versteck, sie brauchen Tasil gar nicht, um sich gegenseitig den Hals umzudrehen.
Numur hatte sich endgültig entschlossen, Schaduk zu töten. Wusste er noch nicht, dass sein Bruder tot war? Oder hatte er Angst, dass der Immit seinen Sohn Narsesch auf jeden Fall auf den Thron setzen würde? Wenn das so war, dann hatten Tasils Lügen Früchte getragen, vergiftete Früchte. So wie Maru Immit Schaduk kannte, war er wahrscheinlich auf Numurs Pläne vorbereitet. Vielleicht hatte er sogar ebenfalls vor, Numur umzubringen. Dann war
es nur noch die Frage, wer wem zuvorkam. Maru schüttelte den Kopf. Es war ihr gleich.
Aus der Ferne klangen immer noch Stimmen. Die Feierlichkeiten nahmen ihren Fortgang. Irgendwann, es schienen Stunden vergangen zu sein, war es endlich vorbei, und der Zug der Trauernden verließ schweigend die Grabkammer. Maru fiel plötzlich auf, dass niemand weinte. Bei Beerdigungen in Akyr weinten und schrien die Frauen laut ihren Kummer heraus, und sie zerrissen ihre Kleider. Aber hier schienen gar keine Frauen anwesend zu sein. Ein seltsames Volk, diese Akkesch. Ob Umati dabei war? Maru fühlte einen Stich. Wenn Numur vorhatte, Schaduk zu töten, dann war auch Umati in Gefahr – und das war ihr nicht egal.
Die Menge verließ die Grabanlage. Das Echo der Schritte verebbte, und das Licht, das aus dem Gang in Inannas Kammer fiel, wurde schwächer. Nach einiger Zeit hörte Maru schwere Schläge vom Eingang durch die Gänge hallen. Sie konnte sich denken, was das war. Sie schlugen die Stützpfosten unter der Steinplatte weg. Noch zwei laute Schläge, dann ein
Weitere Kostenlose Bücher