Die Tochter des Magiers 01 - Die Diebin
schnell, so schnell wie noch nie in ihrem Leben.
Da streifte sie die Schwertspitze am Ohr. Sie hatte die Reichweite ihres Häschers unterschätzt. Und wieder seufzte der Krieger leise. Maru rannte weiter, er verfolgte sie mit schweren Schritten. Sie schoss durch den Vorraum hinaus in den Gang, bog um die Ecke, lief noch zehn Schritte und blieb stehen. Wenn sie Glück hatte – wenn sie viel Glück hatte -, würde der Koloss in seiner Kammer bleiben. Was immer er war, er würde vielleicht beim Raik verharren, um ihn zu beschützen. Er musste einfach beim Raik bleiben. Dann konnte Tasil selbst zusehen, wie er an Utus Schätze gelangte.
Der Tonkrieger musste jetzt im vorderen Raum sein, sie hörte seine langsamen Schritte. Er durchquerte den Raum. Gleich würde er auf der Schwelle erscheinen und stehen bleiben. Maru schickte ein Stoßgebet an Hirth, dass es so sein möge. Der Koloss erschien auf der Schwelle – und ihre Gebete wurden nicht erhört. Ohne zu zögern, folgte er ihr in den Gang hinaus.
Maru wirbelte herum und rannte davon. Wohin jetzt? Sie bog um die eine Ecke, noch eine. Dort war Frywas Kammer. Plötzlich hatte Maru eine Eingebung. Sie ließ die brennende Fackel an der Wegbiegung fallen und floh in die Dunkelheit der Kammer. Der Koloss verfolgte sie, das war nicht zu überhören, aber sie war viel schneller. Sie duckte sich hinter den Sockel und spähte vorsichtig über die aufgebahrte Frywa hinweg. Draußen im Gang flackerte das unruhige Licht der Fackel. Direkt vor ihr schimmerte es rotgolden. Erst jetzt sah Maru, dass die tote Frywa mit einer atemberaubend schönen Bernsteinkette geschmückt war. Sie schüttelte den Kopf. Für solche Nebensächlichkeiten hatte sie nun wirklich keine Zeit. Der Koloss erschien im Gang. Er beachtete die Fackel gar nicht, er sah auch nicht nach links oder rechts, er folgte Maru in die Kammer.
Sie unterdrückte einen Fluch über ihre eigene Dummheit. Wieso versuchte sie, sich im Dunkeln vor einem Feind zu verstecken,
der gar keine Augen hatte? Die Kammer war kleiner als die des Raik. Hier war das Ausweichen schwieriger. Der Tonkrieger stampfte geradewegs auf sie zu, und Maru wich zurück. Er warf einige Tonkrüge um und holte seufzend mit dem Schwert aus.
Maru sprang zur Seite, stolperte über einige kleine Gefäße, fiel hin, rollte sich zur Seite und entkam der Klinge noch einmal um Haaresbreite. Hastig sprang sie auf und rannte. Sie hob die Fackel im Laufen auf. Im Dunkeln war ihr Feind eindeutig im Vorteil. Sie rannte weiter in Inannas Kammer.
Im Grunde genommen war Maru jetzt klar, was sie tun musste. Der tönerne Koloss achtete die aufgebahrten Körper. Solange sie schnell genug war, konnte sie ihn in den Grabkammern immer wieder überlisten. Aber wie lange würde das gut gehen? Wie lange würde Tasil brauchen, um durch die Mauer zu brechen? Und wenn er das geschafft hatte – konnte er ihr dann überhaupt helfen? Das Stampfen näherte sich wieder. Maru biss die Zähne zusammen. Ihr Verfolger schien etwas schneller geworden zu sein. Das Spiel wiederholte sich. Sie lockte ihn in die Kammer, wartete, bis er sich am Sockel für eine Seite entscheiden musste, dann wählte sie die andere und flüchtete.
Sie rannte hinaus, bog um die Ecke – und wäre beinahe mit dem Daimon zusammengeprallt. »Utukku!«
Er starrte sie stumm an.
»Kannst du mir helfen?«
Der Daimon gab jenen seltsamen schnarrenden Laut von sich, den Maru bisher für Lachen gehalten hatte. Der Koloss tauchte hinter ihr auf. Maru hatte keine Zeit, auf Utukkus Antwort zu warten, und lief weiter. Bevor sie jedoch wieder abbog, blickte sie noch einmal zurück. Utukku stand im Gang und ließ den Tonkrieger herankommen. Der Koloss lief, ohne anzuhalten oder auch nur langsamer zu werden, einfach durch ihn hindurch.
Maru rannte schneller, ihr Ziel war die Kammer des Raik. Dort
gab es ein Schwert, das wusste sie. Sie hatte zwar noch nie im Leben ein Schwert in der Hand gehalten, aber sie fand, es war ein guter Zeitpunkt für ein erstes Mal. Der Dolch! Sie hatte noch ihren Hakul-Dolch. Aber sie hatte auch die Gestalt ihres Verfolgers vor Augen. Was sollte sie gegen ihn mit einem Messer ausrichten? Eine Axt, das benötigte sie jetzt. Und am besten noch jemand, der gut damit umgehen konnte.
Maru erreichte die Kammer des Raik. Dort lag das Sichelschwert auf Utus Brust. Sie riss es ihm aus der bandagierten Hand. Es handelte sich um eine Eisenklinge und war schwerer, als Maru gedacht hatte. Aber was blieb ihr
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