Die Tochter des Magiers 01 - Die Diebin
wertvolle Waffen nicht anvertrauen. Die Tür war verschlossen, und nur undeutlich drang eine Stimme heraus. Maru konnte nicht viel verstehen, aber sie erkannte den Tonfall. Es war die hohe Stimme des Malk, der wieder etwas zu schnell zu sprechen schien. Es klang aufgebracht. Dann sprach eine ruhigere, leicht heisere Stimme, das war die von Tasil. Danach hörte Maru den herablassenden Tonfall des Abeq, dem der Malk aufgeregt ins Wort fiel.
Maru verstand einige Wortfetzen und versuchte, sich daraus zusammenzureimen, was vorging: Tasil berichtete von der Gefahr, Malk Numur war empört und erregt, Abeq Mahas tat so, als hätte er das Geschehen im Griff. Aber Numur schnitt ihm jetzt das Wort ab und brüllte einen Befehl. Die Tür flog auf. Ein Diener kam herausgestürzt und eilte genau auf Maru zu. Sie drückte sich geistesgegenwärtig in die Schatten zwischen den Krügen. Der Mann rannte an ihr vorbei und verschwand um eine Ecke.
Die Tür war nicht wieder ins Schloss gefallen, sodass Maru jetzt alles besser verstehen konnte. Eine Stimme schrie, es war ganz ohne Zweifel die des Malk, und sie überschlug sich vor Wut. »Verräter, ich bin von Verrätern umgeben! Und mein eigener Bruder ist einer von ihnen. Gegen die heiligen Gesetze unseres Volkes begehrt er meinen Tod, den Tod seines eigenen Fleischs und Bluts.«
Eine andere Stimme sprach leise und beruhigend auf den Malk ein. Maru hielt sie für die des Hohepriesters von Brond, aber sie war sich nicht sicher.
Plötzlich hörte Maru Schritte im Gang. Zwei Männer näherten
sich. Vorneweg hastete der Diener, der sich beeilte, aber immer wieder stehen blieb und sich umdrehte, weil der zweite Mann es offenbar weit weniger eilig hatte. Maru war froh, dass sie in ihrem Versteck geblieben war, sie wäre sonst entdeckt worden. Der Unbekannte war groß, breitschultrig, und sein Gesicht war von einem schwarzen Bart überwuchert. Sein Haar war zu einem langen Zopf gebunden. Obwohl in Haar und Bart keine Spur von Grau zu sehen war und auch sein Körper stark und jugendlich wirkte, war irgendetwas an ihm, was ihn alt wirken ließ. Maru vermochte aber nicht zu sagen, was das war. Er trug einen seltsamen Brustpanzer. Zuerst hatte sie gedacht, es sei altes Leder, denn er schien grau und stumpf zu sein, aber unter der rauen Oberfläche glitzerte es hier und dort schneeweiß. Dann roch sie ihn. Als er an ihrem Versteck vorbeischritt, verschlug es Maru fast den Atem. Er stank nach Knoblauch, ranzigem Fett und verbranntem Schilf. Der Mann trug einen kurzen Stock, auf dessen Knauf ein kleiner Tierschädel saß, vielleicht von einem Raubvogel. Ein zerschlissener und vielfach geflickter Mantel wehte hinter ihm her. Maru hatte keine Zweifel daran, dass dies ein weiterer Zauberer aus den Sümpfen war.
Der Diener hielt ihm unter einer Reihe von Verbeugungen die Tür auf und schloss sie unter weiteren Bücklingen, obwohl sie der Maghai gar nicht sehen konnte, hinter ihm wieder. Maru hörte dann die schrille Stimme von Malk Numur, der ein tiefer Bass antwortete. Maru legte sich auf den Boden und kroch ein Stückchen aus ihrer Deckung heraus. Es dauerte nicht lange, und die Tür öffnete sich wieder. Mehrere Diener stürzten heraus und liefen in verschiedene Richtungen davon. Ihnen folgte Abeq Mahas. Er wirkte unzufrieden.
»Gebt Alarm!«, befahl er einer der Wachen. »Es sind Feinde im Haus des Raik.«
Der Wächter drehte sich um und schlug mit einem Stab gegen eine lange Kupferstange, die nahe der Tür von der Decke hing.
Helle misstönende Schläge hallten durch die Gänge. Maru drückte sich wieder tief in die Schatten. Sekunden später wimmelte es um ihr Versteck von Menschen. Aus allen Türen kamen sie gestürzt, einige schlaftrunken und nur halb angezogen. Krieger stürmten durch die Gänge heran, viele nur mit Schild und Schwert bewaffnet und ohne weitere Rüstung. Sklaven rannten, als gelte es ihr Leben, Schabai brüllten Befehle, Dienerinnen flohen durch die Gänge. Der ganze Palast war auf den Beinen – und Maru saß in der Falle …
Maru machte sich ganz klein, hoffte, dass niemand über die Krüge stolpern würde, und wartete. Dort, wo sie war, konnte sie nicht bleiben, das war ihr klar. Sie hoffte, es würde bald ruhiger werden, aber das Gegenteil war der Fall. Minute um Minute verstrich, und sie saß immer noch fest. Tasil oder irgendjemand anders würde sie bald im Lager suchen. Es wäre gut, wenn sie dann auch dort wäre. Doch wie sollte sie unbemerkt dorthin gelangen?
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