Die Tochter des Magiers 01 - Die Diebin
Glut in der Asche, und es stank nicht nur nach verbranntem Holz. Maru wollte gar nicht so genau wissen, nach was es noch roch. Das Pferd schnaubte, als es die Glut witterte. Die beiden Wachen vor dem Tempel wurden aufmerksam.
Das flackernde Feuer warf unruhiges Licht auf die Front des Tempels. Vier flache Stufen führten zu einem breiten, gedrungenen Portal, das von zwei mächtigen Säulen flankiert wurde. Sie waren höher als alles, was Maru in ihrem Leben gesehen hatte. Es sah fast aus, als würden sie nicht nur das Dach des Götterhauses, sondern auch den Himmel tragen. Aber dann erkannte sie, dass sie einer Täuschung erlegen war. Die beiden riesigen Säulen waren nicht errichtet, sondern aus dem Felsen gehauen worden. Sie trugen auch kein Dach, sondern nur eine steinerne Spange, die auf den ersten Blick wie ein Giebel wirkte. Sie war mit rechtwinkligen Mustern überzogen. Zwischen dem breiten Rahmen des gemauerten Portals und dieser Spange klaffte ein Loch, durch das Maru ein Stück Himmel und in einiger Entfernung weitere Felsen erkennen konnte.
Die beiden Wachen erhoben sich.
»Wer kommt da?«, fragte einer der beiden.
»Ein Freund«, antwortete Tasil und ritt noch ein Stück näher.
Am oberen Ende der Treppe tauchten weitere Wächter auf. Einer von ihnen, an seinem federgeschmückten Helm leicht als Anführer zu erkennen, trat ihnen mit einer Fackel entgegen. Misstrauisch leuchtete er den beiden ins Gesicht. »Eine seltsame Zeit für einen Besuch der Tempel, Fremder.«
»Es ist in der Tat eine seltsame Zeit. Ich bin jedoch nicht hier, um die Tempel aufzusuchen, ich muss mit Malk Iddin sprechen.«
Der Schab schüttelte den Kopf. »Es sind die heiligen Stunden der Totenwache. Weißt du nicht, dass Iddin, und mit ihm die Stadt, um unseren geliebten Raik Utu-Hegasch trauert? Wie kannst du verlangen, dass wir ihn jetzt stören?«
»Natürlich weiß ich um euren Verlust, und mein Mitgefühl gehört dieser Stadt, doch wenn du nicht willst, dass weitere Tage der Trauer folgen, solltest du mich zu deinem Fürsten bringen.«
»Dunkle Andeutungen? Ist es das, was du ihm sagen willst? Du
kannst nicht ernsthaft annehmen, dass wir dich mit düsteren, aber leeren Worten zu ihm lassen. Er trauert.«
»Nun, ich bringe mehr als Worte. Vielleicht kann dies hier die Pforte zu Malk Iddins Aufmerksamkeit öffnen.«
Bei diesen Worten warf Tasil den Bogen und den Beutel auf den Boden.
Der Schab gab einem seiner Männer ein Zeichen. Der lief heran, öffnete den Beutel und stieß einen Schrei aus. »Bei den Hütern, das ist ein Kopf! Das ist der Kopf … von Kyna! Einer von Numurs Leibwächtern.«
Der Schab zog sein Sichelschwert. »Es ist besser, du erklärst mir, was das bedeuten soll!«
Tasil blieb gelassen.
»Wenn du einen Blick auf den Bogen wirfst, wirst du feststellen, dass es ein Hornbogen der Hakul ist. Er gehörte demselben Mann wie jener Kopf. Ich habe ihm beides auf einem Felsen hier in der Nähe abgenommen. Und nun solltest du dich fragen, edler Schab, was ein Leibwächter von Malk Numur mit einem Hakul-Bogen in Schussweite deines Herrn wollte.«
Der Blick des Schab wanderte zwischen dem Kopf, dem Bogen und Tasil hin und her. Endlich traf er eine Entscheidung. »Weckt die anderen, Malk Iddin ist in Gefahr. Und du kannst mir folgen, ich bringe dich zu ihm.«
Maru erwartete eigentlich, dass man ihr wieder verbieten würde mitzukommen, aber niemand verlor ein Wort über sie. Also folgte sie Tasil und dem Schab ins Innere des Tempels. Das Portal, das sie durchschritt, war nur der Eingang zu einer großen Tempelanlage. Ein weitläufiger, von schmalen Säulen umstandener Platz lag vor ihnen, rechts und links davon standen zwei eindrucksvolle Tempel, beide halb in den Fels hineingehauen. Hinter dem Platz schien sich ein weiteres Tal zu öffnen. In der Mitte des Platzes stand ein steinerner Sockel, auf dem, eingehüllt in einen weißen Mantel, die
sterblichen Überreste eines Menschen aufgebahrt waren. Daneben saß ein Mann auf einem hölzernen Stuhl. Es war Malk Iddin. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt – und schlief.
Der Schab berührte ihn vorsichtig. Malk Iddin schreckte hoch. Für einen Augenblick schien er nicht zu wissen, wo er war, dann fiel sein Blick auf den Leichnam, und ein schmerzvoller Zug zeigte sich auf seinem Gesicht. Er stand auf. Maru fand, dass er seinem Bruder nicht sehr ähnlich sah. Sein Gesicht war breiter, seine Züge wirkten regelmäßiger und ruhiger. Beide Malk waren
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