Die Tochter des Magiers 01 - Die Diebin
einfallen. Aber vielleicht hatte er heute einen Plan zu viel geschmiedet, und sie saßen in der Falle. Vielleicht wollte das Schicksal, dass ihr Leben heute endete. Vielleicht würden die Krieger ihr Leben auch verschonen, und sie würde sich wieder in das Heer der namenlosen Sklaven einreihen können. Sie wollte weder das eine noch das andere. Sie hatte Angst. Sie spürte ein Brennen in den Augen und blickte auf. Ein Bussard kreiste vor dem wolkenlosen Blau. Es würde ein schöner Tag werden.
Der Daimon hob ebenfalls den Kopf. In seinen kupferfarbenen Augen spiegelten sich Felsen und Himmel. »Es kann nicht seinen alten Weg nehmen.«
»Was?«, fragte Maru. Der Daimon wollte etwas Wichtiges sagen, das konnte sie fühlen.
»Sie haben ihn unterbrochen.«
Maru versuchte zusammenzusetzen, was Utukku gesagt hatte. Es erinnerte sie an die Tontafeln von Kerva dem Schreiber. Feine Linien, die jemandem, der nicht lesen konnte, völlig sinnlos erschienen. Sie schüttelte den Kopf. Das, was der Daimon sagte, musste einfach Sinn ergeben. Es war genau wie bei den zerbrochenen Tafeln. Man durfte nicht auf die Linien achten, sondern
auf die Umrisse, wenn man sie zusammensetzen wollte. Ihr Leben hing davon ab, dass sie den Daimon verstand.
Maru hatte eine vage Idee. »Die Akkesch? Sie haben den Weg des Wassers im Fels gestört? Meinst du das?«
»Akkesch. Ja. Sie haben gegraben.«
Meinte er die Felsengräber? Das offene Grab! Es könnte ein gutes Versteck sein! »Du meinst, ich sollte mich in dem neuen Grabmal verstecken, ist es das?«
Der Daimon schüttelte den Kopf. »Nicht bei den Toten.« Seine Augen waren halb geschlossen. Er schien angestrengt über seinen nächsten Satz nachzudenken. Es war das erste Mal, dass er etwas so klar und so eindeutig ausdrückte, dass Maru es sofort verstand. »Da ist ein verborgener Weg. Durch den Berg.«
Am liebsten wäre sie dem Daimon um den Hals gefallen, aber sie tat es natürlich nicht. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie ihn überhaupt hätte berühren können, aber das war im Augenblick auch unwichtig. Es gab einen geheimen Fluchtweg! Und Utukku wusste sogar, wo der Eingang zu finden war. Es dauerte eine Weile, bis Maru aus den verschwommenen Äußerungen des Daimons die genaue Lage in Erfahrung gebracht hatte. An der Seite des Talkessels, einen Steinwurf weit von Utus Grab, lagen die mächtigen Trümmer eines alten Felssturzes. Zwischen ihnen versteckt sollte der Eingang liegen. Tasil würde Augen machen! Sie würden noch einmal davonkommen, sie würden den Tag überleben. Die Steine, die ihr vom Herzen fielen, waren kaum kleiner als die Brocken, die den Tunnel verbargen.
»Sie haben ihn verschlossen«, sagte Utukku da.
Marus Hochgefühl verflog. »Verschlossen?«
»Ein Stein. Er gehört dort nicht hin.«
Maru atmete tief durch. Vielleicht war es nur eine Tür? Der Daimon verstand vielleicht nichts von solchen einfachen Menschendingen.
Sie musste es selbst sehen. Eine Idee, auf die sie hätte schon früher kommen können, wie sie sich eingestand. »Zeig es mir.«
Der Daimon sah sie aus seinen kupfernen Augen kurz an. Sie glaubte, ihr eigenes Spiegelbild darin zu sehen. Dann bewegte er sich. Vielleicht bewegte er sich auch nicht. Auf jeden Fall stand er plötzlich zwischen den Felsen, gut dreißig Schritte von Maru entfernt.
Maru nahm es hin. Sie war müde, sie war hungrig, und sie hatte in den vergangenen Stunden mehr Wunder gesehen als andere Menschen in ihrem ganzen Leben. Ihr fehlte die Kraft zu staunen. Sie folgte Utukku wortlos.
Wer nicht wusste, dass es der Eingang zu einem geheimen Stollen war, hätte ihn nie gefunden. Maru musste sich durch mehrere enge Spalte zwängen, bevor sie vor der Felsplatte stand. Sie schien in der Wand zu stecken. Selbst wenn sie frei zugänglich gewesen wäre, hätte man zehn Männer gebraucht, um sie anzuheben. Maru allein hatte keine Chance, sie zu bewegen. Es war der Eingang, da war sich Maru sicher, aber sie hatte keine Vorstellung, wie er zu öffnen war. Die Akkesch waren wirklich elende Geheimniskrämer. Vielleicht hatte Tasil eine Idee. Sie musste ihm davon erzählen.
Als sie aus dem Gewirr der Felsen herauskletterte, war Utukku verschwunden. Dafür packte sie plötzlich jemand am Arm. Es war Tasil. »Was hast du hier zu suchen, du Sandkröte? Solltest du nicht nach dem Pferd sehen?«
»Der Eingang … Ein geheimer Gang durch den Berg«, stammelte Maru verwirrt.
Malk Iddin stand neben Tasil und sah sie misstrauisch
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