Die Tochter des Magiers 02 - Die Gefährtin
denkt«, sagte Tasil mit seinem wolfsartigen Lächeln.
»Nicht so unnütz, wie ihr denkt«, wiederholte Maru, als sie durch den Regen schlich. Manchmal ging er wirklich zu weit. Wäre es denn so schlimm gewesen, seine »Nichte« einfach einmal zu loben? Hätte er nicht sagen können: »Sie ist klüger als ihr alle zusammen?«
Nun, offenbar war das zu viel verlangt. Ob er seine leiblichen Verwandten auch so behandelte? Hatte er überhaupt welche? Er sprach eigentlich nie über seine Familie. Sie wusste nicht mehr von ihm, als dass er aus der Stadt Urath weit im Süden stammte. Es war immer, als schliche ein Schatten böser Erinnerungen über sein Gesicht, wenn sie ihn auf seine Heimat und Herkunft ansprach. Deshalb tat sie es nicht mehr. Vielleicht war das ein Fehler. Wika kam ihr plötzlich in den Sinn. Wieso nur hatte die Kräuterfrau sie gedrängt, sich selbst zu fragen, warum sie bei Tasil blieb? Bei Sklaven war das eben so. Sie schüttelte den Gedanken ab. Sie hatte eine Aufgabe, die es zu erfüllen galt. Ob Tasil es zugab oder nicht: Wieder einmal hing es von ihr ab. Sie musste möglichst ungesehen auf die Südseite der Insel. Das Einfachste wäre, den Zaun entlangzuschleichen, aber sie wollte dem Wasser nicht zu nahe
kommen, nicht, solange Utukku in der Nähe war. Also stahl sie sich vorsichtig über den Hang. Das Unwetter war weitergezogen, und der Wind trieb feinen Regen über die Insel. Am Edhil-Platz wurde gearbeitet. Das Dach des Gottes musste neu errichtet werden. Sonst waren kaum Menschen unterwegs. Sie blieb vorsichtig. Tasil hatte Recht, sie schwebten in tödlicher Gefahr. Numur war unberechenbar. Und dann waren da noch die Hakul. Anfangs sah sie in jedem Schatten einen schwarzen Mantel, aber dann stellte sie fest, dass es wirklich nur Schatten waren. Die Steppenreiter waren nirgends zu entdecken. Hatten sie es aufgegeben, sie zu verfolgen? Vielleicht betrauerten sie ihre toten Stammesbrüder. Tasil hatte sie aus dem Fluss gezogen. Das hatte ihn in der Achtung der Hakul steigen lassen. Aber hatte Numur vielleicht Recht mit seinem ungeheuerlichen Vorwurf? Hatte Tasil die beiden Feinde ertränkt, als sich ihm die Gelegenheit geboten hatte? Maru schauderte es bei dem Gedanken. Sie dachte kurz darüber nach und entschied dann, es nicht zu glauben. Tasil nutzte zwar jeden Vorteil sofort aus, aber selbst er würde nicht so gewissenlos sein, oder? Im Samnath brannte noch Licht. Numurs Leibwächter saßen auf den Stufen. Maru entdeckte weitere Krieger, mindestens zwei Eschet, die das Haus bewachten. Sie sahen müde aus. Was Numur wohl plante? Maru nagte an ihren Lippen. Der Alldhan misstraute ihnen, vor allem Tasil. Und er brauchte sie nicht mehr. Wozu auch? Um den Goldenen Tempel zu finden? Da hatte er andere Mittel. Hatte er nicht gesagt, er würde nach dem Krieg den ganzen Sumpf austrocknen, zu Ehren seines Vaters? Natürlich, wenn Tasil ihm den Schatz liefern würde, dann würde Numur sofort zugreifen. Maru lief weiter. Und wenn man es von ihrer und Tasils Seite betrachtete, sah die Sache noch einmal ganz anders aus. Vielleicht könnten sie Numur wirklich zum Gold führen, und dann? Würde er sie leben lassen? Kaum. Dankbarkeit war nicht Numurs starke Seite. Tasil hatte Recht: Sie mussten so
schnell wie möglich von dieser Insel herunter. Am besten noch in dieser Nacht und möglichst weit weg, hinaus aus diesem Sumpf. Auf den »Besuch« im Tempel hätte Maru gern verzichtet. Aber das war nicht ihre Entscheidung. Sie huschte über die Kuppe. Links lag die neue Unterkunft für die Krieger, die Fakyn hatte errichten lassen, und dort unten am Ufer brannten die Feuer der Dorfbewohner. Sie hatten sich unter behelfsmäßigen Dächern für die Nacht eingerichtet und betrauerten nun, inmitten all der Zerstörung, ihre Toten. Maru zögerte, hinunterzugehen. Das alles war ihretwegen geschehen. Wie konnte sie diesen Menschen noch unter die Augen treten? Sie seufzte. Es musste sein. Sie ging weiter. Sie hatte den Auftrag, Rema zu suchen. Der Gedanke, ihn zu sehen, munterte sie etwas auf. Das Schreinhaus war durch die Flutwelle eingeknickt und weitgehend zerstört worden. Das Dach war der Verwüstung aber entgangen. Die Dorfbewohner hatten es von den Wänden gelöst und auf einige behelfsmäßige Pfosten gesetzt. So schützte es wenigstens vor dem Regen. Als Maru den Hügel hinabkam, bemerkte sie, dass sich sehr viele Menschen dort versammelt hatten. Seltsamerweise umringten sie das schützende Dach, hielten aber
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