Die Tochter des Magiers 02 - Die Gefährtin
die Beine und brachen wieder auf.
Es war bereits früher Nachmittag. Im immer noch strömenden Regen lenkten sie ihre Boote hinaus auf den Kanal. Es wurde einfacher, als sie herausfanden, dass die Wasserarme nahe der Inseln
stetig nach Süden strömten. Sie ruderten schweigend, nur hier und da stritten sie leise, welcher Weg einzuschlagen sei. Sonst lauschten sie, ob nicht irgendwo ein Geräusch die Anwesenheit von Numurs Männern verriete. Aber es blieb still. Das Isberfenn war riesig, und der Sumpf jenseits der Weideninseln schier endlos. Wer konnte wissen, wo die Krieger des Alldhans inzwischen herumirrten? Niemand sprach mehr über die Mauer, die sie gefunden hatten. Maru aber spürte einen Schauder, als sie voranruderten. Irgendwo da unter ihr hatte einst eine große Stadt gelegen. Mit Menschen, die ihren eigenen Träumen und Wünschen gefolgt waren. Dann war Strydh gekommen, hatte sie verführt und in den Untergang gestürzt. Sie waren tot, vom Schlamm und vom schwarzen Wasser des Fenns begraben, und schon lange brannten keine Opferfeuer mehr zu ihrem Gedenken. Sie waren vergessen – und Strydh, der Verführer, war immer noch der Herr dieser Welt. Maru fragte sich, ob sie die Einzige war, die solche Gedanken hegte. Sie sah Biredh, der nachdenklich und schweigsam war, aber wenn sie in die Gesichter der anderen schaute, sah sie nur wachsende Anspannung. Da war kein Platz mehr für Geschichten aus alter Zeit. Sie wähnten sich kurz vor dem Ziel. Vielleicht waren sie angesichts der uralten Steine kurz nachdenklich geworden, doch jetzt dachten sie an das, was sie erwartete: Ruhm und Gold. Keiner von ihnen hatte etwas auf die Mahnung in Biredhs Worten gegeben. Wahrscheinlich hatten sie sie nicht einmal gehört. Maru schon. Der Erzähler hatte Recht: Ihr Ziel barg womöglich tödliche Gefahren. Numur jagte sie, und Numur suchte ebenfalls nach dem Gold. Vielleicht war es ihm schon gelungen, die Mauer des Schweigens um diesen Tempel zu durchbrechen? Er musste doch nur in Erfahrung bringen, was sie selbst wussten, dann würde er sie vielleicht schon dort erwarten. Maru biss die Zähne zusammen und ruderte weiter. Sie hatte ein schlechtes Gefühl, und je weiter sie nach Süden kamen, desto stärker wurde es. Sie versuchte,
nicht daran zu denken, denn es half ja nichts: Was immer die Söldner dort erwartete, sie würde es mit ihnen teilen müssen. Das Unbehagen wurde stärker, wenn sie in ihre entschlossenen Gesichter blickte. Ein seltsames Fieber schien sie ergriffen zu haben. Selbst in Tasils Zügen las sie nun nichts mehr außer der Gier nach Gold. Sie wurden leichtsinnig. Hatten sie bislang breite und tiefe Kanäle gemieden, so nahmen sie nun jede Gefahr in Kauf, wenn sie der Weg nur rasch zum Ziel zu bringen versprach. Keiner unter ihnen verschwendete noch einen Gedanken an die Awathani oder an Numurs Suchtrupps. Sie dachten alle nur noch an den Goldenen Tempel. Maru seufzte. Wenn die Männer die Gefahren nicht mehr sehen wollten, dann musste sie selbst eben umso achtsamer sein. Sie hoffte, es würde schnell gehen: Sie würden den Tempel finden, sich die Taschen mit Gold füllen und schnell verschwinden, oder, und das hoffte sie aus Gründen, die sie selbst nicht kannte, fast noch mehr, sie würden ihn gar nicht erst aufspüren.
Rastlos strebten sie weiter nach Süden. Einmal nur hielten sie inne, als in der Ferne ein Hornsignal ertönte. Sie lauschten. Andere Hornsignale antworteten.
»Das war weit im Norden«, sagte Vylkas.
»Sie haben unsere Spur verloren«, frohlockte Bolox.
»Gut«, sagte Meniotaibor, »weiter!«
Es war hoher Nachmittag, als sie die letzte der Weideninseln erreichten, vor ihnen breitete sich das schwarze Wasser des Dhanis aus.
»Wohin jetzt?«, fragte Meniotaibor.
Maru zögerte, aber sie hatte Tasil schon in der Nacht alles gesagt, was sie über den Weg wusste. Nur, dass Dwailis ein Maghai war, das hatte sie weiterhin für sich behalten.
»Wir sind schon zu weit«, sagte Tasil, »die Insel des verrückten
Alten muss irgendwo nordwestlich von hier im Sumpf liegen.«
Sie ruderten den Kanal ein Stück zurück. Über dem Schilf tauchten bald mehrere kleine Baumgruppen auf: Weiden.
»Welche ist es?«, fragte Ulat.
»Wir werden es herausfinden«, meinte Tasil.
»Wir könnten uns aufteilen, dann geht es schneller«, schlug Meniotaibor vor.
»Und wer sagt uns, dass du dich nicht mit dem Schatz davonmachst, wenn du ihn ohne uns findest, Iaunier?«, fragte Ulat.
»Ich«, sagte
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