Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
Tapfere, im Sieg, im fernen Süden, unter fremden Sternen.« Biredh verstummte. Der letzte Satz hallte von den Wänden wieder.
Maru schwieg eine Weile, dann sagte sie: »Das ist wirklich eine traurige Geschichte, Biredh. Ich dachte immer, Tiuf sei unsterblich.«
»Ich denke, Tiuf hat das selbst auch geglaubt, und vielleicht hatte er sogar recht, Maru Nehis.«
»Wie meinst du das?«
»Noch heute erzählt man sich Geschichten von ihm, und er ist doch schon viele hundert Jahre tot. Also hat er immer noch einen Platz in Ud-Sror und musste bislang nicht die Reise in das Große Vergessen antreten.«
»Ein schwacher Trost«, meinte Maru zweifelnd.
»Nun, ich habe dich gewarnt, aber du wolltest ja unbedingt diese Geschichte hören. Jetzt beschwer dich nicht.«
»Verzeih, aber ich hatte gehofft, es würde irgendwie doch ein gutes Ende nehmen.«
»Der Daimon wurde vernichtet – ist das nichts?«, widersprach Biredh.
»Das ist wahr. Die Waffe, sag, was war das für eine Waffe?«
»Ich fürchte, ich kann dir über sie nichts sagen, denn so, wie ich dir die Geschichte erzählte, habe ich sie gehört. Ich habe nicht ein Wort hinzugefügt oder weggenommen.«
Maru seufzte. Sie fragte sich, warum das Schicksal ausgerechnet sie erwählt hatte, um mit Utukku zu kämpfen. Jalis, der Maghai, hatte behauptet, so etwas wie Schicksal gebe es nicht. Wenn das wahr wäre, dann könnte sie einfach aufstehen und gehen. Was hielt sie davon ab?
»Ich danke dir, Biredh, aber es wäre mir lieber gewesen, Tiuf hätte die Früchte seines Sieges genießen können.«
»Ein Sieg ist immerhin ein Sieg, auch wenn du ihn nicht auskosten kannst. Ich hoffe, diese Erzählung hat dir ein wenig geholfen bei dem, was du vorhast.«
»Ich weiß es nicht, ich glaube, ich muss erst noch darüber nachdenken.« Maru, die sich, während sie dem Alten zugehört hatte, auf den Boden des Tempels gesetzt hatte, stand auf.
»Du willst mich verlassen, Maru Nehis?«
»Ich muss, Biredh. Hier drin ist es einfach zu düster, und ich sehe nichts, das mir Hoffnung macht. Aber natürlich führe ich dich noch gerne an einen anderen Ort, wenn du willst.«
»Lass nur, Maru Nehis, ich bleibe noch ein wenig und werde bei Strydh ein gutes Wort für dich einlegen. Lass den Kopf nicht hängen, Mädchen. Es kommt selten so, wie du es erwartest.«
Als Maru den Tempel verlassen hatte, blieb sie stehen und blickte in den blauen Himmel. Einzelne weiße Wolken zogen darüber. Wäre nicht die brodelnde Unruhe gewesen, die aus den Gassen der Stadt aufstieg, wäre es ein sehr friedvoller Anblick gewesen. Maru seufzte. Tiuf hätte seinen Sieg sicher auch lieber gebührend gefeiert, als dabei auf so grausame Weise zu Tode zu kommen, ganz gleich, was Biredh dazu sagte. Der Held hatte seinen Feind vernichtet, aber womit? Maru fand es bezeichnend, dass die Geschichte darüber nichts Genaueres sagte. Ein Schwert, aber das war sicher nicht aus flüssigem Gold gewesen. Sie war nicht klüger als zuvor. Weder hatte sie so eine Wunderwaffe, noch war sie eine Heldin. Also, warum lief sie nicht einfach davon? Niemand konnte sie zwingen, diesen unbesiegbaren Feind zu bekämpfen. Sie seufzte noch einmal. Natürlich würde sie bleiben. Wo sollte sie auch hin? Vielleicht würde Temu ja doch noch etwas herausfinden, irgendwo in den geheimnisvollen Tiefen des Bet Schefir. Wo mochte er jetzt sein? Ob er noch bei den Tempeln war? Sie schob für den Augenblick die düsteren Gedanken zur Seite. Wie alle Schreiber verehrte Temu Fahs vor allen anderen Göttern. Das hieß, er würde sich vermutlich auf der obersten Stufe des Schirqu aufhalten. Damit ging er auch seinem Schwager aus dem Weg, der als Schmied sicher Brond, dem Hüter der Herdglut und des Feuers, huldigte. Maru musste lächeln, als sie an den Ärger dachte, den Temu mit Schwager und Schwester hatte. In gewisser Weise beneidete sie ihn darum. Sie hatte keine Verwandten, nur einen Mann, den sie Onkel nennen musste und der sie betrog und benutzte. Sie beschloss, Temu zu suchen. In gewisser Weise war er die letzte Hoffnung, die sie hatte. Sie lief vier Schritte, dann blieb sie stehen. Da war ein Gedanke, flüchtig, unscharf, schwer festzuhalten,
und dann, auf einmal, atemberaubend hell und klar. Natürlich! Das war es! Das war so ungeheuer naheliegend, dass sie kaum fassen konnte, dass sie nicht schon längst darauf gekommen war.
Kaschakku
Es ward eine Frau vor uns gebracht, der ihre Nachbarn Böses nachsagten, und sie konnte es nicht
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