Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
hier an meinem Unglück weidest?«
Maru kam nicht umhin, ihn zu bewundern. Seine Verzweiflung wirkte echt, aber sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er keineswegs so verzagt war, wie er tat. Ganz im Gegenteil: Sie konnte sehen, dass er sich sammelte, um seine geheime Waffe einzusetzen. Doch dazu musste er den Verwalter berühren.
»Du möchtest mir drohen, Fremder?«, fragte der Mann ungerührt. Die Krieger waren näher gerückt. Maru ließ Tasil nicht aus den Augen. Er stand mit hängenden Schultern am Tisch, blickte niedergeschlagen zu Boden und hob geistesabwesend eines der Gewichte auf. Der Verwalter streckte unwillig seine Hand aus, um es zurückzufordern. »Wirst du wohl das Eigentum des Kaidhans stehen lassen, Urather?«
Und schon kam es zu der kleinen Berührung, die Tasil brauchte. Er drückte dem Verwalter das Gewicht in die Hand. »Selbstverständlich, ehrenwerter Verwalter. Verzeih, ich will doch die Ordnung dieser Halle nicht erschüttern.«
Aber das war nur, was die Krieger hören konnten, denn das, worauf es ankam, geschah jenseits des Hörbaren: Tasil setzte die geheime Stimme ein. Wie ein Sperling umflatterte sie den Geist des Verwalters und sprach davon, dass es doch am einfachsten sei, diese Krieger fortzuschicken, die nichts als Unordnung bedeuteten mit ihren Waffen und dem Schmutz, der an ihren Stiefeln klebte. Maru musste ein Lächeln unterdrücken. Es war geschickt, auf die Ordnungsliebe des Mannes zu zielen. Es war immer leichter, einen Geist mit dem zu verführen, was er hören wollte. Bei den meisten war es Reichtum oder Macht, aber dieser Verwalter hatte offensichtlich andere Bedürfnisse. Er starrte Tasil nachdenklich an, machte aber keine Anstalten, der unhörbar eingeflüsterten Bitte Folge zu leisten.
Tasil war verunsichert. Maru konnte sehen, wie ihm Schweißtropfen über den Nacken rannen. Es kostete ihn jedes Mal viel Kraft, die Stimme einzusetzen. In dieser Kunst übertraf sie ihn längst.
»Wirklich«, sagte Tasil laut, »es besteht keine Notwendigkeit, dass vernünftige Männer sich über eine solche Kleinigkeit streiten oder gar Krieger zur Hilfe rufen.«
Seine zweite Stimme sagte dem Verwalter, dass er in seiner Weisheit doch keiner Bewaffneten bedürfe, er, der doch bald mit seiner – Tasils – Hilfe, zum Dritten oder gar Zweiten Verwalter aufsteigen könne.
Der namenlose Vierte Verwalter runzelte missmutig die Stirn, entzog Tasil seinen Arm und stand auf. »Ich denke, dass du ein gefährlicher Mann bist, Tasil aus Urath. Und ich gestehe, dass ich mich in Gesellschaft dieser tapferen Krieger sicherer fühle, denn ich habe dir zu sagen, dass du verhaftet bist. Nehmt sie fest, Männer, ihn und auch das Mädchen.«
Maru war fast ebenso verblüfft wie Tasil. Der Verwalter war völlig unbeeindruckt. Der Stimmenzauber hatte versagt.
Luban-Etellu
Jeder Herrscher kann einen Krieg beginnen. Doch die wenigsten verstehen es, einen Krieg auch zu beenden.
Etellu-Kaidhan
Sie folgten dem Verwalter unter Bewachung durch etliche Gänge und über viele Innenhöfe. Maru konnte Tasil ansehen, wie beunruhigt er war. Der Stimmenzauber hatte ihn Kraft gekostet und,
weit schlimmer noch, war völlig fehlgeschlagen. Er hatte ihr noch im Lagerhaus einen vielsagenden Blick zugeworfen. Verwunderung lag darin und auch eine Bitte, die er nicht laut aussprechen konnte: Er wollte, dass sie ihr Glück versuchen sollte. Aber sie hatte stumm abgelehnt. Dafür gab es gute Gründe. Wika, die Kräuterfrau aus dem Isberfenn, hatte sie eindringlich gewarnt: Jeder Zauber konnte die Aufmerksamkeit der Bruderschaft der Maghai auf sie lenken. Und das musste sie um jeden Preis vermeiden. Zum anderen begriff sie nach der ersten Überraschung schnell, dass auch sie bei dem Verwalter nichts würde ausrichten können. Er war einfach nicht empfänglich für diese Kunst. Ihr war schon früher aufgefallen, dass einige Menschen leichter und andere schwerer zu beeinflussen waren. Tasil behauptete, das läge an der Willensstärke des Betroffenen. Dieser Verwalter war der lebende Gegenbeweis. Nicht an seinem eisernen Willen war Tasils Zauber zerschellt, sondern an seinem Mangel an Vorstellungskraft. Noch nie war Maru einem Geist begegnet, der so vertrocknet war wie der dieses Mannes. Mit Zauberei war da nichts auszurichten. Also folgten sie ihm jetzt, bewacht durch die hohlwangigen Gestalten der Speerträger, die Mühe hatten, Schritt zu halten. Maru versuchte, sich keine Gedanken zu machen.
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