Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
eigentliche Gefahr für diesen Frieden lauerte hier, in einem kleinen Kahn am Ufer des Schwarzen Dhanis. Der Hunger nach Gold war in den Männern geweckt, und sie waren nicht von der Art, die sich viele Gedanken über das Wohl und Wehe ihres Volkes machte. Nicht angesichts eines solchen Reichtums.
»Es ist ebenfalls meinem Einfluss zu verdanken«, fuhr Tasil fort, »dass die Ulbaitai den Schatz nicht morgen oder nächste Woche übergeben müssen, sondern hier und heute, auf dem Damm, den ihr da vor uns seht, ihr Männer.«
»Hier und heute? Du bist erstaunlich gut unterrichtet, Tasil aus Urath«, sagte Hardis mit einer Mischung aus Misstrauen und Bewunderung.
»Ich habe schon vor längerer Zeit einige der unteren Verwalter bestochen. Das war leicht, denn auch diese Männer haben Frauen und Kinder, die essen wollen. Du wärst überrascht, Hardis, wenn du wüsstest, wie viele Geheimnisse du einer hungernden Stadt für eine warme Mahlzeit entlocken kannst.«
Marus Magen zog sich zusammen. Sie dachte an die verhüllten Frauen, die Yalu im Haus des Richters heimlich mit Essen versorgt hatte. Also deshalb hatte Tasil sich so ungewohnt großherzig gezeigt. Es waren Frauen von Verwaltern aus dem Bet Kaidhan, von Verwaltern, die Tasil nützlich sein konnten. Wie hatte sie nur annehmen können, dass er aus Mitleid handelte?
»Ich sehe da auch ziemlich viele Krieger auf dem Damm, Urather«, warf Agir ein. Sein Widerspruch klang halbherzig.
»Diese Krieger sind für uns kein Hindernis, ihr Männer, wenn ihr mutig und schnell seid«, erklärte Tasil bestimmt.
»Du weißt, dass wir das sind, mein Freund, aber das allein wird diese Bewaffneten da drüben nicht beeindrucken. Oder glaubst du, sie sehen zu, wie wir in aller Ruhe Kiste auf Kiste in unseren Kahn laden?«, wollte Hardis wissen.
»Nein, du hast natürlich recht, mein Freund. Aber ich denke, ich kann euch versprechen, dass sie … abgelenkt sein werden.«
»Und sicher verrätst du uns auch, wodurch«, meinte Hardis. Maru hörte ihm an, dass seine Zweifel vorhanden, aber schwach waren. Hardis hoffte wohl inständig, dass Tasils Vorhaben durchdacht war, dass sie diesen Schatz, der bald in ihre Reichweite geriet, wirklich erlangen könnten.
Tasil ließ einige Sekunden verstreichen, ehe er, aufreizend gelassen, verkündete: »Die Zermalmerin wird über sie kommen.«
Maru verschlug es den Atem. Hatte sie richtig gehört? Tasil
wollte einen Angriff der Awathani als Ablenkung nutzen? Das konnte nicht sein Ernst sein. Die Schmuggler nahmen seine Ankündigung mit tiefem Schweigen entgegen. Sie waren offensichtlich ebenso verblüfft wie sie selbst.
Nach einer sich schier endlos dehnenden Pause räusperte sich Hardis. Er erklärte kühl: »Ich weiß, dass du ein kühner Mann bist, Urather, doch dies ist … verrückt!«
»Willst du uns der Schlange zum Fraß vorwerfen?«, zischte Agir.
Tasil lachte leise. »Ihr kennt mich. Ich bin tapfer, jedoch nicht lebensmüde. Die Erwachte wird uns kein Haar krümmen«, behauptete er.
»Woher willst du das wissen? Glaubst du wirklich, dass sie uns verschont, nur weil deine Nichte mit uns in diesem Boot sitzt?«
»Natürlich«, antwortete Tasil ruhig.
»So? Dann müssen wir also nur noch Numurs Krieger überreden, dass sie uns das Gold zuwerfen? Wirklich, Tasil, ich zweifle an deinem Verstand!«, rief Hardis. »Dein Plan ist so voller Löcher, dass ich mich wundere, dass du ihn uns überhaupt unterbreitest!«
»Und welche Löcher wären das?«, fragte Tasil gelassen.
Die Ulbaitai hatten inzwischen das Ende der Brücke erreicht, und Uschparu betrat zuerst den Damm, auf dem ihn Mahas und Numur erwarteten. Maru sah, wie der Immit sich zunächst tief und demütig verbeugte, dann ging er auf die Knie und berührte mit der Stirn den Boden. Der Immit des Reiches der Akkesch unterwarf sich dem Alldhan. Das Gold um seinen Hals schimmerte dabei im Fackelschein. Aber das alles drang nur am Rande in ihr Bewusstsein. Sie war ebenso fassungslos wie die anderen über Tasils Vorhaben. Das konnte nie und nimmer gut gehen.
»Welche?«, rief Hardis aufgebracht. »Die Löcher sind so groß, dass die Erwachte bequem hindurchschwimmen könnte! Du sagst,
sie wird die Krieger ablenken – aber dazu muss sie überhaupt erst einmal erscheinen. Unberechenbar ist sie, und ich vermag nicht zu glauben, dass du weißt, ob oder wann sie ihr Haupt über den Strom erhebt. Und wenn sie sich wirklich zeigt, werden das die armen Kerle auf den Schiffen auszuhalten
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