Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
haben, nicht die Männer an Land. Und, falls du es vergessen hast, wir werden dann auch auf dem Fluss sein, wenn ich deinen Plan richtig verstehe. Es mag ja sein, dass sie uns nicht angreift, doch wenn sie mit ihrer Gewalt durch dieses Flussbett wütet, dann möchte ich nicht in dieser Nussschale sitzen, nicht für alles Gold der Welt!«
»Ich kann dich gut verstehen, Hardis, denn so würde ich an deiner Stelle wohl auch denken. Jeder Mann von Verstand würde das. Es sei denn, er wüsste, was ich weiß.«
Maru folgte dem Wortgefecht mit offenem Mund. Sie war eigentlich vollständig auf Hardis’ Seite, aber sie kannte Tasil zu gut, um nicht noch mit einer Überraschung zu rechnen. Und die deutete er gerade an.
»Ich vermag mir nicht vorzustellen, was das sein könnte«, rief Hardis unwirsch.
»Du weißt zum Beispiel nicht, dass einige Maghai im Lager Numurs sind.«
Jetzt war Maru wirklich überrascht. Was sollten die Maghai mit der Erwachten zu tun haben?
»Zauberer?«, fragte Hardis zweifelnd.
»Ich habe mit Velne, ihrem Anführer, eine Übereinkunft getroffen.«
Maru schnappte nach Luft. Tasil? Mit Velne? Dem Tochar, der sich aus allem heraushalten wollte?
»Und welcher Art soll diese Vereinbarung sein? Hat er vor, den Schatz auf unser Boot zu zaubern?«
»Das wohl nicht, mein Freund, aber er vermag die Erwachte zu lenken.«
»Er beherrscht dieses Untier?«, entfuhr es Hardis.
Lüge , dachte Maru. So stark war selbst Velne nicht.
»Oh, ich verstehe deine Zweifel, Hardis, doch er vermag es. Nicht für lange, doch lange genug, um sie auf dem Fluss und gegen die Brücke wüten zu lassen. Selbst den Damm wird sie angreifen. Und wenn ihr erster Angriff vorüber ist – dann ist unsere Stunde gekommen.«
»Ich glaube dir kein Wort!«, rief Hardis.
»Das verstehe ich gut, doch höre meine Worte. Es sind viele Wachen am Dhanis, doch wird die Erwachte nicht von dort, sondern aus dem Kanal kommen und die Brücke also von jener Seite aus angreifen.«
»Aus dem Kanal? Soweit ich weiß, meidet sie diesen schmalen Wasserarm.«
»So ist es auch, mein Freund. Und daher mein Angebot. Behalte deine Zweifel, bis sie kommt. Kommt sie nicht oder von stromabwärts, dann werden wir uns still und ohne Beute davonmachen. Erscheint sie aber zuerst flussaufwärts, dann müssen eure Zweifel verstummen, und ihr müsst mir folgen, zum größten Schatz, den Männer je erbeutet haben.«
Hardis schwieg eine Weile, dann antwortete er: »So soll es sein, Tasil aus Urath. Ich bin begierig zu sehen, ob es wirklich einen Zauberer gibt, der dieses Wunder, das du beschrieben hast, zu vollbringen vermag.«
Den gab es nicht, da war sich Maru sicher. Es gab nur einen, der die Awathani lenken konnte, und das war Utukku. Aber Tasil wirkte so sicher. Sie kannte ihn. Er schien nicht zu lügen, oder er hatte diese Kunst vervollkommnet. Sollte er wirklich mit Velne …? Undenkbar. Oder war es der Maghai, der sie getäuscht hatte? Hatte er den Platz auf der Weide oberhalb des Damms etwa gewählt, weil er wusste, dass die Awathani von dort erscheinen würde? Sollte sie sich so in ihm geirrt haben? Aber wie und womit hätte Tasil ihn
dazu bringen sollen? War der riesige Schatz etwa auch für einen Zauberer eine Versuchung? Vorhin, als sie Tasil von den Maghai erzählt hatte, da hatte er doch überrascht gewirkt. Wenn er mit Velne einig war, warum hatte er sie dann noch einmal losgeschickt, ihn auszuhorchen? Das alles stimmte hinten und vorne nicht. Es passte nicht zusammen. Irgendetwas Wichtiges übersah sie. Aber sie konnte ihr Hirn noch so sehr zermartern, sie kam einfach nicht darauf, was es war.
Auf der Brücke erschien eine neue Abordnung. Sie war klein, vier Krieger, die eine Bahre trugen. Es schien jemand darauf zu liegen. Auch diese Männer bemühten sich um würdevolles Auftreten, was bedeutete, dass sie sehr langsam gingen. Maru verfluchte die Akkesch und ihre Umständlichkeit. Erst wenn der Schatz auf der Brücke war, würde sie wissen, ob Tasil sie alle belogen hatte. Sie hielt die Anspannung kaum noch aus. Die vier Krieger erreichten endlich den Damm und richteten die Bahre auf. Maru entfuhr ein leiser Schrei: Es war Umati, mit groben Stricken an die Bahre gebunden und mit einem grauen Tuch notdürftig verhüllt. Auf der Serkesch-Seite brandete wieder Jubel auf. Offenbar wussten die Krieger also, dass ihnen gerade der Leichnam von Schaduks Fluch gezeigt wurde. Die Träger stellten die Bahre ab. Maru fühlte sich elend.
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