Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
hatte sie nicht zurückgelassen. Die Ulbaitai hatten sie ohne Gnade bis zum letzten Mann niedergemacht. Maru erinnerte sich noch gut daran, wie die Zermalmerin mit einem feierlichen Umzug als Retterin der Stadt gefeiert worden war. Doch war der Jubel verfrüht gewesen, denn als Luban am nächsten Tag seine Krieger zum Gegenangriff auf das Hauptlager der geschwächten Serkesch ausgesandt hatte, da waren auch seine Schiffe und Männer der mächtigen Seeschlange zum Opfer gefallen. Danach hatte keine der beiden Parteien mehr versucht, über den Fluss zu setzen. Und so wurde die Stadt durch die Awathani gleichzeitig beschützt und belagert, und dass Ulbai
noch nicht gefallen war, war allein ihr Verdienst, nicht das der Verteidiger, die der Kaidhan so lobte.
»Du weißt aber auch, dass meine Stadt Hunger leidet?«, fragte Luban weiter. Er hatte Tasil den Rücken zugekehrt und schien mehr mit dem Bildnis seines Vorfahren als mit ihm zu reden. Dann fuhr er herum und rief zornig: »Natürlich weißt du das. Du lebst davon. Du schaffst Lebensmittel in die Stadt. Doch bringst du sie nicht ins Markthaus, wie es Gesetz ist, sondern verkaufst sie an den, der dir das meiste Silber gibt! Schändlich ist, was du tust, du labst dich am Leiden meiner Stadt!«
Tasil ließ diesen Wutausbruch ungerührt über sich ergehen, dann sagte er bedächtig: »Es ist so, Herr, dass es einer deiner Verwalter war, der mir bislang das meiste Silber für meine Waren bot, und nicht für sich fragte er, sondern für die Küche deines …«
Luban unterbrach ihn schroff: »Glaubst du, ich wusste davon, glaubst du, ich schwelge in Genüssen, während Ulbai hungert?«
Maru lauschte gebannt. Es war ein alter Kniff von Tasil, seine Gegenüber bei Verhandlungen zu reizen, denn wütende Menschen, so sagte er, neigten dazu, Fehler zu machen. Sie hätte aber nicht gedacht, dass er sogar den Kaidhan auf diese Weise herausfordern würde.
Luban schüttelte den Kopf. »Keinen Bissen äße ich, wenn nicht Uschparu mich förmlich dazu zwänge. Und von allem, was mir gebracht wird, opfere ich den Göttern stets den besten Teil.« Wie zum Beweis deutete Luban auf die Opferschale, die zu Füßen der großen Steinfigur stand. Maru musste zweimal hinsehen. Dort lag ein Stierschenkel und wartete darauf, in die geweihte Flamme geworfen zu werden. Fleisch! Selbst sie, die keinen Hunger leiden musste, hatte seit Wochen kein Fleisch mehr gesehen. Und Luban wollte dieses kostbare Stück Lende im Feuer verbrennen?
»Ich würde nie wagen, an der Festigkeit deines Glaubens zu zweifeln, Herr«, versicherte Tasil ruhig.
»Das solltest du auch nicht, niemand sollte das. Wie ein Baum so fest, so stehe ich und wache über meine Kinder, die in dieser Stadt leben. Und sie dauern mich, denn sie leiden schrecklich unter der Belagerung des Verräters. Und auch ich leide, mehr als alle anderen, denn ihre Not raubt mir den Schlaf und peinigt meine Seele. Aber ich darf nicht schwach werden! Ich bin der Kaidhan, sie bauen alle auf meine Stärke. Und ich werde eher mit all meinen Kindern sterben, als dem Verräter meine Stadt zu überlassen.«
»Dazu wird es nicht kommen, Herr«, sagte eine ölige Stimme. Sie gehörte einem feingliedrigen Mann in einem vielfarbigen Gewand, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte. Aber jetzt entzündete er eine Lampe und lenkte die Aufmerksamkeit auf sich. Maru konnte sehen, dass er das genoss. Auch sein übertrieben buntes Gewand wies ihn als eitel aus. Als das Licht entzündet war, trat er einen Schritt zurück und gab den Blick frei auf einen flachen Tisch, der mit vielen geraden und gebogenen Linien bemalt war. Funkelnde Halbedelsteine und weiße Kiesel waren scheinbar willkürlich darüber verteilt.
»Ah, Baschmu, mein Freund. Mein einziger Freund in dieser schweren Stunde. Haben die Sterne Neues zu berichten?«
»Ich war in dieser Nacht wieder auf dem Schirqu, und ich habe die Verzeichnisse noch einmal verglichen, Herr. Ich sehe jetzt, dass Uo schnell an Kraft verliert.«
Ein weiterer Mann trat aus den Schatten hervor. »Das ist seltsam, Sterndeuter, denn die Nachrichten, die wir heute erhielten, sprechen eine andere Sprache.« Ohne Zweifel war er ein Krieger. Seine gedrungene Gestalt war in einen ledernen Waffenrock gehüllt, und auch das Sichelschwert fehlte nicht. Es war klar, dass er Baschmu nicht mochte. Aber auf welche Nachricht spielte er an?
»Du hast mir nicht zugehört, Upnu«, verteidigte sich der Sterndeuter.
»Ich sagte, dass
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