Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
sie immer wieder zu ihm zurückkehren, auch wenn – oder gerade weil – hier ein Daimon auf sie wartete: Utukku, der Rätselhafte, der, der die Awathani aus ihrem Jahrhunderte dauernden Schlaf geweckt hatte. Utukku, der nach ihrem Blut – nach Maghai-Blut – verlangte, und der, so viel hatte sie begriffen, jedes Mal stärker wurde, wenn er es bekam. Zweimal hatte er sie nun schon gerettet – und zweimal hatte er bekommen, was er wollte. Und jetzt saß sie in dieser Stadt fest, und der Daimon war sicher nicht fern. Früher oder später würde er wieder zu ihr kommen, das wusste sie. Deshalb versuchte sie, so viel wie nur möglich über ihn in Erfahrung zu bringen. Aber das war schwer. In Ulbai gab es keinen Maghai, und es hatte Wochen gedauert, bis sie auf den Gedanken gekommen war, ihr Glück im Bet Schefir, dem Haus der Schrift, zu versuchen. Viel Erfolg hatte sie dort bislang nicht gehabt. Aber jetzt wurde alles anders. Wenn erst Frieden war, dann konnte sie von hier fort, den Fluss und seinen Daimon weit hinter sich lassen, für immer! Tasil würde die Stadt sicher verlassen, wenn es hier nichts mehr zu verdienen gab. Aber wollte sie das wirklich? Durfte sie dem Strom den Rücken kehren, wenn ein Daimon Tod und Zerstörung über seine Ufer brachte, ein Daimon, der mit ihrem Blut an Macht gewonnen hatte? In ihrem Herzen wusste Maru, dass sie es nicht konnte. Sie musste diese Angelegenheit zu einem Ende bringen. Ob nun Krieg war oder Frieden.
Maru hörte kaum zu, wie die Männer über Tasils Aufgabe verhandelten. Man hatte ihn – und damit auch sie – auserkoren, Numur das Friedensangebot zu überbringen. Die Sterne verlangten es, betonte Baschmu. Auch Uschparu schien unbedingt Tasil mit dieser Aufgabe betrauen zu wollen. Maru fragte sich, ob es keine geeigneten Verwalter oder Schabai in dieser Stadt gab. Es war doch seltsam, einen Fremden, noch dazu einen Schmuggler, mit diesem Amt zu betrauen. Eine Ahnung sagte ihr, dass es dafür einen besonderen Grund geben musste, einen Grund, den vorläufig wohl nur der Immit kannte. Die Verhandlungen zogen sich hin. Der Kaidhan jammerte viel, Baschmu versuchte, ihn mit seinen Sternen zu trösten, und Upnu hörte mit versteinerter Miene zu. Nach und nach verstand Maru, dass es darum ging, welchen Preis man bereit war, für den Frieden zu bezahlen. Luban behauptete, dass jedes Dorf des Reiches wie ein Stück seines Leibes sei, und weigerte sich zunächst, auch nur eines davon herzugeben. Aber Immit Uschparu und auch der Sterndeuter redeten ihm gut zu. Letzten Endes fand der Immit die Worte, die Luban überzeugten: »Lass uns dem Feind die Hand zum Frieden reichen, Herr. Hat er sich erst einmal zurückgezogen, können wir mit deiner Klugheit und Tatkraft unsere alte Stärke zurückgewinnen. Und in wenigen Jahren werden wir dann mit dem Schwert zurückfordern, was wir jetzt mit dem Siegel hergeben müssen.«
Maru fand das nicht besonders ehrlich, aber offenbar störte das sonst niemanden. Und widerstrebend und mit viel Gezeter erklärte sich Luban endlich bereit, einen Teil des Akkesch-Reiches an Numur abzutreten: »Ich gebe ihm das Obere Kydhien, mit der verfluchten Stadt Serkesch. Auch wenn es schmerzt, als würde ich mir mein Herz herausreißen. Doch mehr wird der Abtrünnige nicht bekommen, nicht solange ich noch lebe!«
Danach redete man noch über viele Einzelheiten des Friedensangebotes. So bestand der Kaidhan darauf, dass Numur sich nur Raik,
keinesfalls aber Alldhan oder gar Kaidhan nennen dürfe. Maru erinnerte sich daran, dass sie in Zeitnot waren. Erfuhr Numur erst einmal, dass die Flotte mit dem Nachschub verloren war, würde er jedes Angebot ausschlagen. Schon jetzt hielt sie es für fraglich, ob er darauf eingehen würde. Sie hatte von Temu einiges über das Alte und das Neue Akkesch gehört, ja, sie musste sich jetzt eingestehen, dass seine endlosen Vorträge doch nicht völlig nutzlos gewesen waren. Sie wusste von ihm, dass Ober-Kydhien zwar ein reicher und wichtiger Teil, aber eben nur ein Teil des Reiches war. Numur hatte bis auf Ulbai ganz Akkesch erobert, abgesehen vielleicht von einigen Schafsweiden in Aurica und ein paar Sümpfen in Awi. Warum also sollte er sich mit dem halben Kydhien zufrieden geben? Diese Frage wurde jedoch nicht erörtert. Stattdessen kam Tasil auf einen anderen Punkt zu sprechen: »Ich werde gerne die ehrenvolle Aufgabe übernehmen, hochgeborener Kaidhan, doch erlaube mir die Frage, ob es für den Boten auch eine bescheidene
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