Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
verlassen.
Die andere Seite des Flusses
In jenem Jahr kamen die Iaunier über das Schlangenmeer. Sie belagerten meine Stadt und berannten die Mauern. Fahs bestrafte sie dafür. Mit vielen Schiffen waren sie gekommen. Mit wenigen kehrten sie heim.
Etellu-Kaidhan
Maru hätte zu gerne gewusst, was der Immit so Geheimes mit Tasil zu besprechen hatte, doch war es ihr nicht möglich, an der Pforte zu lauschen, denn mit ihr warteten auch die Schreiber auf das Ende der Unterredung. Als nichts geschah, versuchte sie, ein Gespräch mit den Männern anzufangen, doch sie sahen sie von oben herab an und antworteten ihr nicht. Nach einer ganzen Weile erschien Tasil in der Tür und winkte Maru heran. Dann sagte er leise: »Lauf hinunter in den Hafen, Kröte, und sag Hardis, dass wir das Boot früher brauchen.«
»Wann denn, Onkel?«
»So schnell wie möglich. Ich werde bald nachkommen.«
»Aber was soll ich Hardis sagen?«, fragte Maru.
»Sag ihm ruhig, dass ich als Unterhändler in Numurs Lager gehen soll. Und sag ihm, dass ein halber Barren Silber für ihn dabei herausspringt.«
Maru zögerte, dann fragte sie leise: »Und soll ich ihm sagen, dass sie Frieden machen wollen?«
»Nein, Kröte, auf keinen Fall! Du sagst ihm einfach, dass ich mit seiner Verschwiegenheit rechne, so wie meine Auftraggeber mit der meinen. Am Besten wäre es, er sagt seinen Leuten nichts. Wir brauchen sie nicht, wenn wir nur auf die andere Seite des Flusses wollen. Und jetzt lauf, Kröte, die Zeit drängt.«
Und Maru lief. Sie lief über die weitläufigen Gänge und Höfe des Bet Kaidhan, durch das Tempeltor, über den Edhil-Platz mit der mächtigen Säule. Immer noch lag die Oberstadt wie ausgestorben. Einmal sah Maru in einer Nebenstraße einen Leichenkarren, doch dieses Mal war es ein echter. Sie lief schneller, durchquerte das prachtvolle Etellu-Tor und tauchte ein in die Gassen der Schwarzen Seite. Laufen half ihr beim Denken, und sie versuchte, sich einen Reim auf das Geschehene zu machen. Wenn der Immit mit Tasil etwas zu besprechen hatte und es so geheim war, dass selbst sie fortgeschickt wurde, dann musste es wichtig sein. Es ging sicher nicht um weitere Einzelheiten der Verhandlungen. Sie wurde langsamer. Der einzige Grund für diese Heimlichtuerei konnte doch nur sein, dass Uschparu etwas vorhatte, was Luban nicht wissen durfte. Er hinterging den Kaidhan! Sie blieb stehen. Alles Land und alle Menschen des Reiches gehörten dem Kaidhan, auf die eine oder andere Weise. Friede konnte nur werden, wenn Luban-Etellu, Kaidhan der Akkesch, es wünschte. Langsam lief sie weiter. Wollte Uschparu etwa keinen Frieden? Auch auf den Straßen der Unterstadt waren nur wenige Menschen unterwegs. In Ulbai lebten deutlich mehr Akkesch als in anderen Teilen des Reiches, aber dennoch stellten die einstigen Eroberer sicher nicht mehr als den fünften Teil der Bevölkerung. Die meisten von ihnen lebten in der Oberstadt oder auf der Weißen Seite, denn sie bekleideten in der Regel hohe Ämter im Bet Kaidhan, in den Tempeln, Gerichten und Verwaltungshallen. Auf der Schwarzen Seite der Unterstadt traf Maru daher fast nur Kydhier, kleine Handwerker oder Tagelöhner. Der Kaidhan hatte zu Beginn der Belagerung viele von ihnen zum Heeresdienst einberufen, doch inzwischen wieder entlassen. Er brauchte nicht mehr so viele Männer auf den Mauern, denn die Zermalmerin schützte die Stadt wirkungsvoller, als Krieger es konnten. Und wenn sie in seinem Dienst standen, musste er sie auch verpflegen. Maru durchquerte die Straße
der Schmiede, doch es war sehr still dort. Es mangelte der Stadt nicht nur an Nahrung, auch alles andere war knapp. Die Handwerker verfügten nach einem halben Jahr Belagerung über keine Rohstoffe mehr, die sie noch hätten verarbeiten können. So saßen auch die Schmiede nur an ihren erkalteten Essen und warteten. Maru wurde allmählich klar, was Frieden bedeutete. Die Not würde ein Ende haben. Die halbtote, hungernde Stadt würde zu neuem Leben erwachen, ihre Tore würden sich öffnen, und sie würde Waren aufsaugen wie ein ausgetrockneter Fluss den Regen. Das bedeutete aber noch etwas, nämlich das Ende für das einträgliche Geschäft, dem Tasil nachging. Maru wurde wieder langsamer. Es war nicht nur die Frage, was Luban und Uschparu anstrebten, nein, entscheidend könnte am Ende sein, was ihr Unterhändler, was Tasil wollte. Sie trabte weiter. Vor ihr tauchten schon die alten Lagerhäuser des Hafens auf. Aber konnte Tasil
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