Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
Serkesch geschehen war. Fakyn war durch Tasils Taten dazu gezwungen worden, seinen damaligen Herrn, den Händler Atib, zu verraten.
»Er schreckt mich nicht«, antwortete Tasil gelassen, »denn er ist viel zu sehr Schab, um gegen den Willen seiner Herren zu handeln.« Sein Gesicht war eine undurchdringliche Maske, und er ließ sich nicht anmerken, wie er über das Gespräch im Haus des Herrschers dachte. Sie entfernten sich einige Schritte vom Eingang. Als sie außer Hörweite der Wächter waren, stellte Maru die Frage, dir ihr am meisten auf den Nägeln brannte: »Glaubst du, sie werden das Angebot annehmen, Onkel?«
»Nein, sicher nicht so, wie es ist. Aber ich rechne mit einem Gegenvorschlag. Wenn auch nicht von Numur, denn der scheint dem Wahnsinn verfallen zu sein.« Damit teilte er Marus Meinung.
»Aber wenn nicht er, wer …«
»Du musst besser aufpassen, Kröte. Hast du nicht gemerkt, dass es hier genau wie drüben in der Stadt steht? Nicht Luban oder Numur sind es, die die Entscheidungen treffen. Mahas und Uschparu, auf die wird es ankommen.«
»Und jetzt?«
»Warte ich auf Mahas und hoffe, dass er weiß, was gut für ihn ist, besser zumindest als dieser Wahnsinnige, den sie Alldhan nennen. Für dich aber habe ich eine andere Aufgabe, Kröte. Geh und sieh dich im Lager um. Ich will wissen, was hier vorgeht und wie groß der Kampfesmut von Numurs Männern noch ist. Davon kann alles Weitere abhängen.«
Maru hatte plötzlich das seltsame Gefühl, dass Tasil sie loswerden wollte. Er hatte ihr gegenüber kein Wort darüber verloren, was er mit Immit Uschparu besprochen hatte. Und er hatte ihr nicht verraten, was seine eigenen Pläne in dieser Angelegenheit waren. Waren sie so geheim, dass er selbst sie nicht einweihte? Mit gemischten Gefühlen machte sie sich auf den Weg. Sie umrundete das Bet Alldhan, um die Rückseite zu erkunden. Doch die hatte keine Tür und war trotzdem streng bewacht. Das Haus des Herrschers stand unweit der Mitte der östlichen Mauer. Dort gab es kein Tor, dafür aber zwei starke Türme, die mit Bogenschützen besetzt waren. Auch auf der doppelreihigen hölzernen Mauer gingen Wachen auf und ab. Schon im Isberfenn war Numur geradezu ängstlich auf seine Sicherheit bedacht erschienen. Das hatte sich also nicht geändert. Maru wandte sich ohne bestimmten Grund nach Süden. Sie strich durch die kleinen Gassen zwischen den Schilfhütten. Es war still dort. Die Krieger, die sie sah, schenkten ihr kaum Beachtung. Einige schienen damit beschäftigt, ihre Rüstungen auszubessern, andere starrten bloß die Wand der nächsten Hütte an und vertrieben von Zeit zu Zeit die lästigen Mücken, die sie umschwirrten. Sie sah auch Frauen, die abgezehrt und blass wirkten und die ihrem Blick auswichen. Sie waren Kriegsbeute, von den Serkesch aus den umliegenden Dörfern geraubt, um im Lager als Mägde zu dienen. Eines hatten die Mägde und die Krieger gemeinsam: Es lag bleierne Schwere über allen Tätigkeiten, die Maru beobachtete. Sie begriff, dass es den Belagerern nicht viel
besser ging als den Belagerten. Die Luft war voller Gerüche, doch nach Essen roch es nicht. Auch schien den Kriegern das Sumpffieber schwer zuzusetzen. Maru sah mehrere Männer, die der schwarze Pfeil Uos schon getroffen hatte, die aber dennoch in Waffen waren. Temu hatte ihr erzählt, dass die Akkesch glaubten, dass Uo gern immer wieder in dieselbe Richtung schoss und dass sie sich deshalb von Kranken fernhielten. Aber das war in der drangvollen Enge des Lagers schwer möglich. Sie folgte einem schmalen Pfad, der sich zwischen den Schilfhütten hindurchwand, und fand sich plötzlich unweit des Scheiterhaufens wieder. Er war um eine weitere Schicht aus Holz und Leichen gewachsen, aber immer noch unvollendet. Linker Hand sah sie ein langgestrecktes Schilfdach. Davor waren einige Krieger mit mäßigem Einsatz dabei, den trockenen Graben auszuheben, der ihr schon vorhin aufgefallen war.
»Es muss fließen, ihr Männer, es muss fließen, also grabt tiefer!«, schimpfte eine brüchige Stimme.
Maru traute ihren Ohren und Augen nicht. Dort stand Wika und trieb die Männer zur Eile an!
»Wika!«, rief sie hinüber.
Die Alte beschattete ihre Augen und schaute, wer sie da gerufen haben mochte. Maru lief näher hinzu und sprang über den Graben, in dem noch gar kein Wasser floss.
»Ist das Nehis? Das dumme Mädchen, das sich den langen Dorn gefangen hatte?«
»Dumm?«, fragte Maru. Sie hatte die Kräuterfrau fast erreicht.
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