Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
Erde.« Atemlose Spannung. »Er hüllte sich in die Gestalt eines jungen Mädchens, denn die Götter erscheinen nicht in ihrer Pracht unter uns, denn wie sollten wir armen Sterblichen das ertragen? Ein schlichtes junges Mädchen in ärmlichem Gewand also erschien dort aus dem Nichts. Sie berührte das Gefängnis nur ganz leicht mit ihrer Hand – und die Gefangene war frei.« Entsetztes Stöhnen. »Aber nicht verborgen geschah dies, denn Edhil war in Eile und achtete nicht auf die Gefahr, und so kam es, dass ein Mann, ein Pferdefürst der Hakul, sah, was der Sonnengott tat. Doch er erkannte ihn nicht, sondern hielt ihn für eine junge Frau, die er zuvor schon im Lager gesehen hatte.«
Maru rauschte das Blut in den Ohren. Nicht der Sonnengott hatte Umati befreit, das wusste sie genau.
Biredh erzählte weiter: »Und das gefährliche Weib war frei. Es
floh hinaus in die unergründlichen Sümpfe und tötete jeden Mann, der sich ihm in den Weg stellte. Schaduks Fluch war also befreit, und bitter bereuen es die Krieger der Serkesch seither Tag für Tag! Ist es nicht so, ihr Tapferen?«
»So ist es«, antwortete ein vielstimmiges Raunen.
Biredh nickte und fuhr fort: »Da ging der Hakul hin zum Herrn der Krieger, Numur, und sagte: ›Herr, ich sah, wie ein Mädchen das Verhängnis befreite, und sieh, dort sitzt sie mitten unter uns und tut ganz unschuldig.‹ Und er wies auf jenes Mädchen, dessen Gestalt der Sonnengott in seiner Eile angenommen hatte. Dies Mädchen aber wies alle Schuld von sich, wusste sie doch, dass sie nichts Böses getan hatte. Da stand Bolox, der farwische Held, für sie auf und sagte: ›Herr, wie kann es sein, dass sie es gewesen sein soll, die den Fluch befreite, wo sie doch stets in meiner Nähe war?‹ Da aber der Hakul wie auch der Farwier auf der Wahrheit ihrer Worte beharrten, beschlossen der Hohepriester Mahas und Alldhan Numur in ihrer Weisheit, die Götter um ein Urteil anzurufen. Und so geschah es, dass der Pferdefürst mit dem Helden Bolox die Klingen kreuzte. Edhil aber sah vom Himmel aus, wie sie zum Kampf rüsteten. Doch dies war nicht in seinem Sinne. Er verhüllte die Sonne und schickte einen neuen Sturm mit Donner und Blitz, und gerade, als die beiden Recken ihre Schwerter zum tödlichen Schlag erhoben, fuhr der Blitz in die Waffen, und Donner schlug sie ihnen aus der Faust. Da erkannte Mahas, dass ein Gott hier seine Hand im Spiel hatte und beide Männer, die sich doch gegenseitig der Lüge bezichtigten, die Wahrheit gesprochen hatten. Und so beendete er den Kampf, ohne dass ein tödliches Urteil vollstreckt werden musste.«
Biredh lehnte sich zurück. Er hatte das Ende seiner Geschichte erreicht. »Und nun ruht, ihr Krieger, und trinkt den heilenden Sud. Werdet gesund, damit auch ihr bald wieder zeigen könnt, dass ihr Helden seid.«
Die Anspannung der Zuhörer löste sich. Viele schienen über die Geschichte vergessen zu haben, dass das Fieber sie befallen hatte. Aber jetzt sanken sie ermattet zurück auf ihre Krankenlager.
»Ich grüße dich, Maru Nehis«, sagte Biredh und erhob sich von seinem Platz. »Komm, lass uns ein wenig in die Sonne gehen, ich möchte Edhils Licht spüren, wenn ich es schon nicht sehen kann.«
Maru führte den Blinden hinaus. »Ich freue mich, dich zu sehen, Biredh, und noch mehr, deine Geschichte zu hören.«
Der Erzähler lachte. Er hielt sein Gesicht der Sonne entgegen und ließ sie sich in die leeren Augenhöhlen scheinen. »Hat sie dir gefallen?«, fragte er.
»Mir kam es beinahe vor, als sei ich selbst dabei gewesen«, erwiderte Maru. »Hast du keine Angst, dass auch unter deinen Zuhörern einer ist, der es anders erlebt hat?«
Biredh zuckte mit den Achseln. »Es ist nur eine Geschichte. Und als solche ist sie ohne Zweifel wahr. Oder weißt du etwas anderes, Maru Nehis?«
»Nein, wie könnte ich dir widersprechen? Es war mir jedoch neu, dass Edhil selbst es war, der Umati befreit hatte.«
»Wer sonst?«, fragte Biredh mit einem Lächeln. »Dass er die Gestalt einer jungen Frau angenommen hat, sollte dich nicht täuschen. Die Götter können erscheinen, wie sie es für richtig erachten.«
»Aber hast du mir nicht gesagt, dass die Götter sich von den Menschen abgewandt haben? Dass die Hüter insgeheim froh waren, als der Kriegsgott Strydh sie überlistete und ihnen die schwere Bürde der Herrschaft über unsere Welt entriss?«
»Habe ich das, tatsächlich? Nun, manchmal kommt es mir so vor, doch bin ich ein müder, alter Mann, der
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