Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
sie? Hier im Lager?«
»Sind wie der Wind. Unzuverlässig. Mal hier, mal dort. Ihr Lager haben sie irgendwo im Sumpf. So närrisch sind sie nicht, hier unter all dem Gestank und der Krankheit ihre Decken auszubreiten. Aber sie waren hier, gestern, bei Mahas. Und sicher kommen sie wieder. Halte die Augen auf, Nehis!«
»Aber vielleicht erkennen sie mich gar nicht, solange ich nicht zaubere«, sagte Maru zaghaft.
Wika warf ihr einen mitleidigen Blick zu. »Mein Kind, ich fürchte, für den Kundigen brennt deine Gabe wie eine Fackel in dir.«
Maru seufzte. Als es am frühen Morgen geheißen hatte, der Kaidhan wolle Numur Frieden anbieten, da hatte sie geglaubt, dass sich nun alles zum Guten wenden würde. Doch Numur hatte das Angebot abgelehnt. Der Krieg würde also weitergehen. Und nun waren auch noch Zauberer hier. Waren sie etwa der Grund, warum der Alldhan so unerfüllbare Forderungen stellte? Die Maghai waren mächtige Verbündete. Mit Zauberei konnten sie vielleicht vollbringen, was die Krieger mit Waffengewalt nicht schafften. Nun, auch ein Sieg Numurs würde den Krieg zum Ende bringen, und im Grunde genommen konnte ihr doch gleich sein, wer das Reich der Akkesch beherrschte. Aber es war ihr nicht gleich. Sie hatte den Hass und den Wahnsinn in Numurs Augen gesehen. Und wenn die Krieger nach so langen Wochen endlich die Stadt einnähmen – keine Macht der Welt könnte verhindern, dass sie plündernd und brandschatzend durch die Straßen zögen. Sie hatte die Rauchsäulen über den Dörfern gesehen, die die Serkesch entlang der Hlain Ulbas niedergebrannt hatten. Das durfte sich in der gro ßen Stadt nicht wiederholen. Maru sprang auf. »Verzeih, Wika, aber ich muss zurück. Tasil erwartet mich sicher schon.«
»Glaubst du? Meinetwegen. Geh nur zurück zu diesem Südländer. Wenn du glaubst, dass du das musst.«
»Ach, Wika, es ist nun mal so, wie es ist.«
Die Alte grinste plötzlich. »Ach, ist das so? Wie klug du geworden bist, Nehis. Dann lauf. Die Kranken rufen nach mir.« Und sie erhob sich ächzend, drehte Maru ohne ein weiteres Wort den Rücken zu und schlurfte davon.
Maru seufzte. Die Kräuterfrau meinte es gut mit ihr, aber sie
erging sich auch zu gerne in geheimnisvollen Andeutungen. Es half nichts, sie musste zurück zu Tasil. Sie sprang über den Graben und lief zu dem breiten Weg, der vom Tor zur Mitte des Lagers führte. Das war sicher nicht der kürzeste Weg, aber sie spürte wenig Lust, durch das Gewirr der Hütten zu irren. Es musste Frieden werden, und das ging nur, wenn Tasil mit seinem Auftrag Erfolg hatte. Also musste sie ihm helfen. Als sie über den staubigen Weg eilte, dachte sie daran, dass ihr »Onkel« nicht nur einem, sondern wenigstens zwei Aufträgen nachging: dem von Kaidhan Luban und dem von Immit Uschparu, über den sie immer noch nichts wusste. Sie musste ihm erzählen, was sie erfahren hatte, über die knappe Verpflegung, aber auch über die Maghai. Vielleicht würde sie dann auch endlich zu hören bekommen, was er selbst plante. Denn so viel war ihr klar: Tasil war nicht ohne einen eigenen Plan in dieses Lager gekommen. Sie musste sich eingestehen, dass er sich wenig darum scherte, ob Krieg war oder nicht, solange nur genug Silber in seine Taschen floss. Vor der Schmiede bog sie ab und prallte mit einem Mann zusammen, der dort auf dem Weg stand. Sie stürzte. Eine Hand half ihr auf.
»Ich hoffe, du hast dich nicht verletzt, Mädchen in Eile?«, fragte eine warme Stimme. Sie blickte in ein freundliches, rundes Gesicht, dem eine Rasur gutgetan hätte. Eine formlose Kappe aus Lederflicken war auf einen von wirren grauen Strähnen bedeckten Kopf gestülpt. Der Fremde war von untersetzter Gestalt, in speckiges Leder gekleidet und hielt sich an einem langen, knorrigen Stab fest, von dem allerlei Federn und Bänder baumelten. Seine blauen Augen waren tief wie Brunnen. Er war ohne die Spur eines Zweifels ein Maghai.
Schaduks Fluch
Die Augen der Angst zählen Feinde doppelt.
Kydhisches Sprichwort
Maru starrte den Fremden bestürzt an. Für einen winzigen Augenblick hoffte sie, er würde sie nicht weiter beachten und ziehen lassen, doch die Hand, die ihr eben noch aufgeholfen hatte, hielt sie nun am Arm fest umklammert.
»Das ist aber eine Überraschung«, murmelte der Fremde, dann drehte er den Kopf und rief: »Klias, mein Freund, komm her und sieh dir das an!«
Aus dem Eingang der Schmiede trat ein Mann. Er war so groß, dass er den Kopf einziehen musste,
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