Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
schon viel zu lange über die staubigen Straßen dieser Welt schreitet. Aber entschuldige mich. Ich werde hinübergehen zu den Schmieden und Schreibern,
und hoffen, dass wenigstens jene eine Mahlzeit für einen hungernden Erzähler übrig haben.«
»Steht es hier so schlimm? Mir ist schon aufgefallen, dass ich keine Kochfeuer rieche. Leiden die Serkesch etwa ebenso Hunger wie die Ulbaitai?«
Biredh nahm seinen Stab und strich sein Gewand glatt. Dann senkte er seine Stimme: »So ist es, Maru Nehis. Doch sprich es nicht laut aus. Die Serkesch sind Narren und nun erst bemerken sie es. Sie haben das weite Land geplündert und verwüstet, um der Stadt zu schaden. Doch eine Kuh, die einmal geschlachtet ist, kann keine Milch mehr geben, dem Belagerer ebenso wenig wie dem Belagerten. Der gefällte Baum trägt keine Früchte, und das verbrannte Feld nährt kein Korn. Numur muss nun Nahrung für seine Krieger aus der Ferne holen, und die unterworfenen Städte liefern nur schleppend und wenig. Nur Ausflüchte der unterworfenen Raiks erreichen uns hier in großer Zahl. Doch was verstehe ich schon davon? Ich bin nur ein armer Erzähler, der spürt, dass die milden Gaben weniger werden. Aber wartet im Haus der Heilung nicht Wika auf dich, Maru Nehis?«
»Wie? Ja, Wika, du hast recht.«
»Dann lauf, ich denke, wir treffen uns bald wieder.«
Und der Alte drehte sich um und schritt davon. Maru wollte ihn warnen, denn er lief genau auf den Graben zu. Doch Biredh überquerte ihn mit einem langen und sicheren Schritt. Sie sah ihm nach, bis er zwischen den Hütten verschwunden war. Sie war immer froh, ihn zu treffen, auch wenn er die Angewohnheit hatte, stets wieder ohne Erklärung zu verschwinden.
Wika erwartete sie, im Schatten des Schilfdaches neben besagtem Brunnen sitzend. Sie reichte ihr einen Krug mit kühlem Wasser. »Komm, Nehis, setz dich zu mir und erfrische dich. Seine Geschichten machen Durst, nicht wahr? Setz dich in den Schatten
und erzähle einer neugierigen alten Frau, was dich hierher verschlagen hat.«
Maru trank, und dann erzählte sie von ihrer Flucht den Fluss hinunter und wie schnell sie wieder gesund geworden war.
»Die Haut, Mädchen, die Haut der Erwachten, sie heilt dich und hält Krankheiten fern, du kannst froh sein, dass du sie hast.«
Maru widersprach, denn sie fühlte sich entstellt und schämte sich, doch Wika wischte den Einwand beiseite: »Sei nicht zu eitel. Es gibt viele Weiber, die auch ohne so einen Gürtel viel hässlicher sind als du, nimm mich zum Beispiel.« Und sie lachte laut über ihren Scherz.
Dann berichtete Maru von den Iauniern, die Tasil getroffen hatte, erzählte von den endlosen Tagen, die sie mit dem Schiff auf verschlungenen Wasserwegen durch das Wolfsfenn gefahren waren – bis in der Ferne die Stadt Ulbai über dem Sumpf auftauchte. Und sie erzählte von den Schmuggelfahrten und dass sie es spürte, wenn die Zermalmerin in der Nähe war.
Die letzte Bemerkung nahm Wika mit einem Kopfnicken hin, so, als habe sie es gar nicht anders erwartet. Doch zu dem, was Tasil tat, hatte sie etwas zu sagen: »Ich wiederhole es: Er ist eine Aaskrähe, der Mann, den du Onkel nennst. Weidet sich am Elend anderer.«
Maru konnte ihr nicht widersprechen. Tasil sagte immer, dass die Menschen ohne ihn noch schlimmer dran wären, aber im Grunde ihres Herzens sah sie es wie Wika. Er schmuggelte nicht aus Liebe zu den Ulbaitai, sondern um Silber zu verdienen. Und er verdiente nicht wenig. Sie war froh, sich das endlich einmal von der Seele reden zu können. Und doch fühlte sie das Bedürfnis, Tasil in Schutz zu nehmen. »Aber jetzt wird alles anders, Wika. Er ist hier mit einem Friedensangebot des Kaidhans.«
»Und macht er das umsonst?«, fragte Wika trocken.
»Nein, das nicht«, seufzte Maru.
»Ein Aasgeier, wie ich es sagte. Und der soll Frieden bringen?«
»Er muss. Denn in der Stadt steht es noch schlimmer als hier.«
»Böse Zeiten«, murmelte Wika, »wenn die Hoffnung auf einem Mann wie Tasil ruht.«
»Du sagst ihm doch nicht, dass ich dir das alles erzählt habe, oder?«, fragte Maru.
Wika warf ihr einen beleidigten Blick zu. »Bin ich ein Waschweib? Nein, bin ich nicht. Ich kann schweigen, frag nur den Alldhan. Was hat er nicht alles wissen wollen, damals. Und was hat er von mir erfahren? Nichts! Verflucht hat er mich. Und jetzt braucht er mich doch.« Und Wika erzählte, dass sie vor zwölf Tagen gerufen worden war, weil auch der letzte Heiler der Serkesch dem Sumpffieber
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