Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
… bin ich das nicht«, antwortete Temu und errötete.
Maru starrte ihn verblüfft an. »Aber ich dachte …«
»Nun, Mädchen, es ist so. Ich bin vor einem Jahr zum Vierten Schreiber der Stadt ernannt worden. Das ist, auch wenn du es vielleicht nicht glaubst, eine große Ehre, die bisher nur wenigen Männern in meinen jungen Jahren zuteil wurde.«
»Und wo finde ich die Schreiber eins bis drei?«, fragte Maru matt.
»Ich fürchte, sie sind nicht mehr in der Stadt. Anders kann ich es jedenfalls nicht erklären, dass sie schon so lange nicht mehr in das Bet Schefir kommen. Zunächst war es Salaschu, der Ers…«
»Also bist du doch der Erste Schreiber!«, rief Maru dazwischen.
»In gewisser Weise – ja. Und auch wieder nein.«
»Hast du Zugang zu der geheimen Kammer oder nicht?«
»Nun, ich weiß, wo sie ist, und ich weiß, wo mein Vorgänger Salaschu die Schlüssel aufbewahrt, jedoch ist es mir nicht erlaubt …«
»Und wenn das Reich in Gefahr wäre? Oder die Stadt? Und nur geheimes Wissen könnte sie retten?«
»Dann würde ich vermutlich eine Tafel mit dem Ersuchen um Hilfe an den Immit schicken, denn er und der Kaidhan haben selbstverständlich …«
»Temu!«
Der Schreiber blinzelte sie verwundert an. »Was sollen denn all diese Fragen eigentlich, Mädchen?«
Maru riss sich zusammen. Niemandem war geholfen, wenn sie jetzt die Beherrschung verlor. Nein, sie musste schrittweise vorgehen und versuchen, den seltsamen Gedankengängen der Akkesch zu folgen, die für alles Vorschriften und Siegel brauchten. »Höre, Temu«, begann sie, »ich nehme an, die Antworten auf meine Fragen – sehr wichtige Fragen – liegen in dieser Kammer. Was meinst du, könnte es so sein?«
Der Schreiber dachte nach und kratzte sich am Ohr. »Ja, da könntest du recht haben. Wenn das, was du wissen willst, wichtig ist, wurde es aufgeschrieben. Und wenn es aufgeschrieben wurde, muss es hier im Bet Schefir sein. Wenn ich es hier draußen aber nicht finde, dann wiederum muss es in der Geheimen Kammer sein.«
»Und du bist der Oberste Schreiber der Stadt, ist es nicht so, Temu?«
»Nun, in gewisser Weise, ja, auch wenn ich nicht der Erste …«
»Für mich heißt das, du hast Zugang zu dieser Kammer.«
»Aber dazu habe ich weder Tafel noch Siegel bekommen, Mädchen.«
»Es ist Krieg, Temu, die Stadt wird belagert. Kann es nicht sein, dass einfach nur vergessen wurde, dich mit dem erforderlichen Siegel auszustatten?«
»Vergessen?«
»Nimm einfach an, es wäre so!«, beharrte Maru.
»Nun gut, in Zeiten der Not soll so etwas schon einmal vorgekommen sein. Ich erinnere mich an einen Bericht aus der Zeit von Damaq-Etellu, der bedauerlicherweise ja nur zwei Jahre herrschte, da …«
»Also, steht dir nun der Zugang zu der Kammer offen, oder nicht?«
»Wenn du es so darlegst, steht er mir wohl zu, aber …«
»Kein Aber mehr, Temu. Höre, das Leben vieler Menschen kann davon abhängen, dass du die Antworten findest, die ich suche. Verstehst du das?«
Temu nickte halbherzig. Ganz wohl war ihm dabei offensichtlich nicht.
»Vor allem die Frage nach dem, was Etellu in den Himmelsbergen getan hat.« Es fiel ihr immer noch schwer, darüber zu sprechen. Die Worte wollten nicht über ihre Lippen.
»Du meinst den Bann und diesen Daimon?«
»Genau das meine ich, Temu. Meinst du, du kannst es finden? Oder verlange ich zu viel vom Obersten Schreiber der Stadt?«
Plötzlich funkelten die Augen des Schreibers. »Wenn es dort ist, finde ich es! Ich muss nur vorher diese Listen hier …«
»Nein, Temu, musst du nicht! Lass alles stehen und liegen und suche diese Antwort, bitte!«
Er sah sie nachdenklich an. Maru überlegte, ob sie die Zauberstimme einsetzen sollte. Geheimhalten musste sie die Gabe seit heute wohl nicht mehr. Aber sie scheute davor zurück. Sie wollte keinen Freund mit Zauberei beeinflussen. Schließlich nickte Temu. »Dann gehe ich mal den Schlüssel holen«, sagte er und stand auf. Er stockte und schwankte.
Maru sah ihm an, wie geschwächt er war. Er hatte ihr einmal erzählt, dass er sein Haus mit seiner Schwester und ihrer Familie teilte. Sie kümmerte sich um ihn, wenn er dort war. Aber er schien nicht besonders gerne nach Hause zu gehen. Aus ein paar gemurmelten Andeutungen hatte Maru geschlossen, dass er seinen Schwager, einen Grobschmied, nicht mochte. Also blieb er, so oft es ging, im Bet Schefir und vergaß einfach, dass er hungrig war und Schlaf brauchte.
»Du solltest noch etwas essen, bevor du
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