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Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte

Titel: Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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wartete. Doch es kam niemand zurück. Es wurde wieder Nacht, die Gestirne zeigten sich, und die Sichel des Mondes erhob sich über dem verlassenen See. Dann brach sie auf. Die Fremden waren den Fluss entlanggezogen. Sie folgte ihnen und dem Summen, das sie hörte. Maru fühlte eine wachsende Beklemmung. Das Wasser war immer noch rot, doch floss es jetzt schneller.
Das Summen, was bedeutete es? Sie wurde unruhig, kämpfte gegen die Strömung, die sie ihrer Rache entgegentrug. Sie ging plötzlich unter, die Luft wurde knapp, sie strampelte, kämpfte sich nach oben, durchstieß die Oberfläche und – erwachte. Keuchend rang sie nach Atem. Das böse Summen erfüllte die halbdunkle Stube. Der dichte Stoff vor dem Fenster ließ nur wenig Licht in die Kammer. Maru war schweißgebadet. Sie atmete schwer. Wo war sie? Sie sah einen schwarzen Schatten in der Mitte des Raumes. Das vielstimmige böse Geräusch schien von ihm auszugehen.
    »Ich grüße dich, Maru Nehis«, flüsterte eine silbrige Stimme.
    Utukku!
    Sie setzte sich auf, zog sich an die Wand zurück. Die Bilder wirbelten immer noch durch ihren Kopf.
    »Dein Blut, Maru Nehis«, hauchte der Schatten.
    Maru versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. Die Kammer, das Haus des Richters, die Stadt. Sie wusste wieder, wo sie war. Und sie wusste, dass sie nur geträumt hatte.
    »Ich habe es gesehen«, sagte sie leise.
    »Mein See, mein Dorf. Die Akkesch«, erwiderte der Daimon. Seine Stimme klang immer noch silbern und leise wie ein schnell fließender Bach, und das Summen übertönte sie fast.
    Natürlich, die Schilde und die Rüstungen, das waren Akkesch. Sie hatten ein Dorf niedergebrannt. Und sie, nein, der Daimon hatte zugesehen. Das muss auf dem großen Marsch geschehen sein. Sie hatte diese Bilder schon einmal gesehen, undeutlicher, damals im Grab des Raiks, als sie Utukku ihr Blut gegeben hatte. »Das war dein Dorf, Utukku?«
    »Alle getötet«, flüsterte der Schatten.
    Das Summen, das von ihm ausging – waren das Fliegen? Maru blinzelte. Das Licht in der Kammer war zu schwach. Sie rutschte langsam an den Rand ihrer Schlafstatt.
    »Dein Blut, Maru Nehis, einmal noch.«

    Das Summen wurde lauter. Der Schatten schien näher zu rücken.
    »Du bekommst es nicht«, sagte Maru leise.
    »Einmal noch«, wiederholte der Daimon.
    »Und dann?«
    »Frei. Der Bann gebrochen. Rache.«
    Maru schielte zum Fenster. Ein Sprung, und sie konnte den Stoff herunterreißen. Wenn sie ihn sah, würde sie sich besser fühlen. Ihr fiel auf, dass er nicht mehr nach Verwesung roch.
    »Rache?«, fragte sie. Nur ein schneller Sprung. »An wem willst du dich denn rächen, Utukku? Die, die dabei waren, sind doch längst tot.«
    »Kinder. Kindeskinder.«
    Maru wurde kalt, als diese Worte in ihr Bewusstsein drangen. Sie schluckte. Wenn sie ihn nur sehen könnte! Sie schätzte die Entfernung zum Fenster ab. Zwei Schritte, ein Sprung. Sie setzte die Füße vorsichtig auf den Boden. Um ihn abzulenken, sagte sie: »Aber das ist über hundert Jahre her. Selbst die Kindeskinder sind schon längst gestorben, weißt du das nicht?«
    »Akkesch leben.«
    Maru hatte schon zum Sprung angesetzt, jetzt erstarrte sie. »Akkesch? Du … du willst … alle Akkesch töten?«
    »Alle getötet«, wiederholte er, was er schon einmal gesagt hatte.
    Meinte er das ernst? Maru wurde ganz flau im Magen. Sie musste ihn sehen, sein Gesicht. Sie sprang auf, zwei schnelle Schritte, ein Griff – und der Vorhang war zu Boden gerissen. Sie fuhr herum und – der Daimon war verschwunden. Dafür sah sie aberhunderte von Fliegen, die in einem schwarzen Wirbel um eine leere Mitte kreisten. Einen Augenblick später stoben sie in alle Richtungen davon, die meisten zum Licht, zum Fenster, vor dem Maru stand. Eine dunkle Wolke aus tausend kleinen Leibern schoss auf sie zu. Maru schrie auf und duckte sich. Dann war es
vorbei. Versprengte Nachzügler schwärmten durch das Zimmer. Maru hielt es nicht mehr aus. Sie lief zur Tür, hielt inne, kehrte zurück und nahm ihr Messer mit. Sie wusste, dass sie mit Waffen nichts gegen einen Daimon ausrichten konnte, aber sie fühlte sich einfach besser mit einer Klinge in der Hand. Sie lief in den Innenhof. Der Brunnen. Utukku war ein Wasserwesen. Nie entfernte er sich weit von seinem Element. Doch der Innenhof lag still in der Nachmittagssonne. Utukku war offenbar fort. Maru biss sich auf die Lippen, setzte sich und barg das Gesicht in den Händen. Eigentlich hatte sie den Besuch des Daimons doch

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