Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
Temu«, schlug Maru vor und legte das Paket auf den Tisch.
»Ah, essen«, murmelte der Schreiber geistesabwesend und nahm schon die ersten Tontafeln von seinem Tisch zur Hand.
Maru seufzte. »Du musst essen, Temu. Ich brauche dich noch.«
»Brauchen? Wozu? Soll ich etwas für dich abfassen?«
»Nein, Temu, erinnerst du dich nicht an meine Fragen?«
»Fragen? Ach, ja! Natürlich, der gebannte Daimon. Und dieser Maghai, den du suchst, nicht wahr?«
»So ist es. Hast du etwas in Erfahrung gebracht seit heute Morgen?«
»Ich musste noch so viel ordnen, und wie es scheint, bin ich eingeschlafen, irgendwann. Nein, Maru, ich fürchte, ich habe keine Neuigkeiten für dich.«
»Aber die Tafel von heute Morgen über Etellu und den Daimon, hast du sie noch zur Hand?«
»Tafel? Ach ja, irgendwo hier muss sie liegen …«, erwiderte der Schreiber und tastete unsicher ein paar Tafeln ab. Maru sah ihm ungeduldig zu.
»Hier ist sie«, rief Temu und strahlte sie an.
»Wie war das mit dem Bann? Wer hat ihn gewoben?«
»Warte, dort steht es … die Maghai der Imricier, natürlich gemeinsam mit dem großen Etellu-Kaidhan.«
»Natürlich«, murmelte Maru. Sie wusste selbst nicht, warum sie noch einmal nachgefragt hatte. Wie hätte sie das vergessen können? In den Geschichten, die man sich in der Stadt erzählte, war es doch nicht anders, vielleicht nur mit einer anderen Gewichtung: Der Kaidhan hatte ein paar halbwilden Bergzauberern großzügig erlaubt, ihm zu helfen. Aber dieser Bericht bestätigte es eindeutig, es waren Maghai aus den Bergen gewesen. Sie seufzte. Ihr war längst klar, wen sie fragen musste, um mehr über diesen Bannfluch zu erfahren. Sie saßen auf der anderen Seite des Dhanis. Wie hatten sie sich genannt? Tochar?
»Sag, Temu, kennst du ein Volk namens Tochar?«
»Ein Volk? Nein. Es gibt aber einen Stamm der Imricier, der so genannt wird. Warum fragst du?«
»Es sind Männer von diesem Stamm auf der anderen Seite des Flusses.«
»Ach, Wanderer aus den Himmelsbergen? Was treibt die hierher?«
»Der Krieg, vermute ich«, antwortete Maru.
»Ach ja, es ist ja Krieg«, murmelte Temu stirnrunzelnd.
Maru fühlte sich, als sei sie zwischen zwei Mühlsteine geraten. Auf der einen Seite drohte Utukku mit der Vernichtung der Akkesch, auf der anderen Seite die Maghai, die sie umbringen wollten, wenn stimmte, was Wika sagte. Aber vielleicht irrte sich die alte Kräuterfrau
auch? Sie mochte die Maghai nicht und war schnell bereit, nur das Schlechteste von ihnen zu denken. Nun, so wie die Dinge standen, würde sie bald herausfinden, ob Wika recht hatte. Sie musste zu den Zauberern der Tochar, wenn sie mehr über Utukku erfahren wollte. Die Maghai gaben altes Wissen weiter. Vielleicht wussten sie auch von dem Bann – und wie man ihn wieder herstellen konnte. Wika – sie dachte an das andere, was die weise Frau gesagt hatte, dass sie sich nicht vorstellen konnte, verborgenes Wissen über Marus Vater auf Tontafeln zu finden, die jedermann in die Hand bekommen konnte. Das war nicht von der Hand zu weisen. Maru durchfuhr ein Geistesblitz. »Sag, Temu, im Bet Schefir werden doch alle Tafeln gelagert, die im Bet Kaidhan verfasst werden, oder?«
»So ist es«, antwortete Temu stolz. »Es ist das Gedächtnis der Stadt, und eigentlich auch des Reiches, auch wenn seltsamerweise lange keine Berichte mehr aus den anderen Städten hier eingetroffen sind. Ich muss bei Gelegenheit erfragen, was …«
»Verzeih, Temu, wenn ich dich unterbreche, aber es ist wichtig. Es gibt doch sicher auch Berichte, die nicht jedermann lesen darf, oder?«
»Jedermann? Nun, die wenigsten Menschen sind des Lesens und Schreibens kundig, muss ich leider sagen. Ich habe hier irgendwo eine Liste …«
»Temu!«
»Ja?«
»Gibt es diese Berichte?«
»Natürlich, manches ist geheim. Damit es nicht in falsche Hände gerät, obwohl die meisten Schriftkundigen aufrichtige und ehrliche Menschen …«
»Und wo werden diese geheimen Schrifttafeln aufbewahrt?«, unterbrach ihn Maru erneut.
»Oh, da gibt es einen Raum, ebenso geheim wie das Wissen, das darin lagert.«
»Aber du weißt, wo er ist?«
»Natürlich! Das heißt …«
»Das heißt was, Temu?«
»Ich weiß zwar, wo dieser Raum ist, doch darf ich ihn nicht betreten. Dies ist allein dem Ersten Schreiber erlaubt! Daran kannst du sehen, wie geheim …«
Maru atmete tief durch. »Und bist du etwa nicht der Erste Schreiber der Stadt und des ganzen Reiches der Akkesch?«
»Streng genommen
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