Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
anfängst«, sagte Maru sanft. Sie hatte nichts davon, wenn er entkräftet umfiel.
»Essen?«, fragte Temu verwundert.
»Hirse und Brot. Dort auf dem Tisch.«
»Nanu, wo kommt das denn her?«
Maru beantwortete die Frage nicht. Sie beschloss, zu bleiben und zu überwachen, dass Temu über das Essen und seine Listen nicht wieder ihren Auftrag vergaß. Sie holte ihm sogar von drau ßen, vom Brunnen, einen Krug frischen Wassers, denn auch das Trinken vergaß der Schreiber gern.
»Ich habe gar nicht gemerkt, wie hungrig ich war«, sagte er, als er die letzten Krümel aus der Verpackung pickte.
»Und weißt du noch, worum ich dich gebeten habe?«
Temu warf ihr einen beleidigten Blick zu. »Ich werde gleich anfangen. Ehrlich gesagt bin ich jetzt doch selbst sehr neugierig auf all die Geheimnisse, die in dieser Kammer gesammelt wurden.«
Das klang nicht gut. Er war so leicht abzulenken. Doch gerade, als Maru sicher war, dass es besser wäre, ihn zu begleiten, hinkte ein Mann durch die Eingangstür.
»Bist du die junge Frau, die man Maru nennt, die Uratherin?«
Und als Maru die Frage bejahte, forderte er sie auf, ihn ins Bet Kaidhan zu begleiten. Sie werde dort erwartet.
»Das Bet Kaidhan?«, staunte Temu, »Ich wusste ja gar nicht, dass du dort aus- und eingehst.«
Maru lächelte über die Achtung, die sie plötzlich in Temus Augen lesen konnte, dann beschloss sie, das auszunutzen: »Du siehst, ich habe nicht gelogen, als ich sagte, dass meine Fragen wichtig sind. Also vergiss sie nicht!«
»Wie könnte ich, wie könnte ich«, erwiderte der Schreiber sichtlich beeindruckt.
Es blieb für Maru nur zu hoffen, dass der Eindruck sich nicht zu schnell verflüchtigte. Als sie mit dem hinkenden Boten das Bet Schefir verließ, sagte dieser: »Ich sollte öfter hierher kommen.«
»Du kannst lesen?«, fragte Maru.
»Nein, aber hier riecht es nach Essen.«
Opfer
Die Mauern meiner Stadt sind stark, ihre Zinnen hoch. Ein Meer von
Feinden kann sie nicht überschwemmen.
Luban-Etellu
Schon von weitem sah Maru eine dünne weiße Rauchsäule über dem Bet Kaidhan stehen. Offenbar brannte dort ein Opferfeuer. Einzelne abgemagerte Sklaven huschten über die Straßen, ansonsten lagen die Gassen der Oberstadt immer noch wie ausgestorben. Niemand verschwendete Kraft und ging vor die Tür, wenn es nicht sein musste und er stattdessen einen Sklaven schicken konnte. Der Hinkende führte sie auf kürzestem Weg durch das Gewirr der Gänge und Höfe des Bet Kaidhan zum Tempel Etellus, an dessen Pforte er grußlos verschwand. Maru trat ein. Die heilige Flamme brannte zu Füßen der mächtigen Statue Etellus, und Kaidhan Luban war dabei, reichhaltige Gaben ins Feuer zu werfen. Sein Gewand war strahlend weiß, und er hatte sich den Schädel rasiert wie ein Priester. Es roch nach kostbarem Weihrauch. Es waren viel mehr Menschen im Tempel als am Morgen. Sie umstanden das Feuer in weitem Halbkreis – niemand durfte das Opfer verunreinigen – und murmelten etwas, das Maru für ein Gebet hielt, während Luban das Ritual vollzog. Der reichen Kleidung nach zu urteilen mussten es hochgestellte Verwalter und andere Würdenträger sein. Einige Priester der Hüter waren darunter,
und Maru entdeckte den einen oder anderen Schab. Und da waren auch Baschmu, der Sterndeuter, und Upnu, der Schab-ut-Schabai. Sie fand Tasil schließlich nahe des Eingangs, an eine der mächtigen Säulen gelehnt. Dort im Halbschatten warteten noch mehr Menschen. Ihre Kleidung war nicht ganz so vornehm wie die des inneren Kreises, aber vermutlich waren auch das Verwalter oder Schreiber. Der ganze Hof schien sich versammelt zu haben.
»Ah, Kröte, endlich. Warum hat das so lange gedauert?« Tasil kam auf sie zu, packte sie am Arm und zog sie in eine stille Ecke.
Sie zuckte mit den Achseln. Als Tasils bohrender Blick aber nicht von ihr abließ, sagte sie: »Der Bote hat mich nicht gleich gefunden. Denk dir, Onkel, er hinkte.«
»Das sieht den Akkesch ähnlich, dass sie den für eine Aufgabe wählen, der am wenigsten dafür geeignet ist«, antwortete Tasil grinsend. Maru fragte sich, ob es Zufall war, dass sein Blick bei diesen Worten auf Luban fiel.
»Was ist das hier, Onkel?«, fragte sie leise.
»Sie bringen das Großopfer. Riechst du das? Weihrauch, Zedernholz, Fleisch und Weizen. Ein gut Teil von allem, woran es der Stadt mangelt.«
»Und was erflehen sie?«
»Das Übliche – den Segen der Hüter, die Hilfe Etellus, den Beistand Edhils, die Gnade
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