Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
Klias war inzwischen offenbar überzeugt, dass seine Hände sauber und trocken genug waren. Er faltete das Tuch sorgsam zusammen und legte es aus der Hand.
»Wo steckt eigentlich Belk?«, fragte Velne in die Stille.
»Er ist wieder drüben und hofft auf ein Kaninchen, mein Freund«, antwortete Klias.
»Er jagt Kaninchen?«, fragte Maru verwundert, obwohl ihre Gedanken um ganz andere Dinge kreisten.
»Wir jagen nicht«, warf Klias ein. »Wir sind Maghai, und die Jagd mit der Waffe ist unter unserer Würde.«
»Aber ich dachte, Belk würde …«
»Er wird es fangen, indem er es unter seinen Willen zwingt. Das ist die Art der Maghai, Mädchen. Wusstest du das nicht?«
Maru schüttelte stumm den Kopf.
»Sie haben einen kleinen Geist, diese flinken Burschen. Er ist schwer zu finden, vor allem, wenn es dunkel ist«, erklärte Velne grinsend. »Wenn Belk das schafft, wird er bald kein Schüler mehr sein, oder was meinst du, alter Freund?«
Klias schüttelte missmutig den Kopf. »Ich bereue jeden Tag, ihn unter meine Fittiche genommen zu haben.«
Velne beugte sich verschwörerisch zu Maru herüber. »Du musst wissen, dass Klias glaubt, dass Lob einen Schüler nur verdirbt.«
Maru musste daran denken, wie Tasil mit ihr umging. Er schien das ähnlich zu sehen. Dann fiel ihr etwas ein. »Du sagst, ihr könnt auch den Geist eines Tieres beherrschen, ehrwürdiger Velne?«
»So ist es«, erwiderte er knapp.
»Auch den … der Erwachten?«
Velne sah sie mit seinen listigen Augen lange an. »Ob der Geist einer Awathani bezwungen werden kann, ist fraglich«, antwortete er dann bedächtig.
»Aber früher wurde es gemacht, oder? Im Isberfenn sagten sie das.«
»Früher gab es weit mehr von uns als heute, Mädchen. Und viele haben sich zusammenschließen müssen, um die Erwachte zu besänftigen.«
»Und sie haben Menschen geopfert«, fügte Maru leise hinzu.
»Nicht beim letzten Mal!«, erwiderte Velne streng.
»Aber zuvor schon«, beharrte Maru.
Velne seufzte. »Ja, in alter Zeit, da haben unsere Brüder auf dunkle Mittel zurückgegriffen, um ihre Ziele zu erreichen. Menschenopfer!
Es heißt, sie wurden freiwillig erbracht. Ich nehme an, unsere Ahnen haben die Erwählten auf ähnliche Weise überzeugt, wie es Belk jetzt mit dem Kaninchen versucht. Doch die Bruderschaft hat es geschafft, jene dunklen Pfade wieder zu verlassen. Und am Ende haben sie den Bann auch ohne Blutopfer aussprechen können.«
»Und wie lange hat er gewirkt?«, warf Klias aufgebracht ein. »Kaum mehr als hundert Jahre! Und schlief sie früher nicht viele Jahrhunderte? Und unsere Gemeinschaft? Es mag sein, wir haben lichtere Pfade gewählt, doch wohin haben uns diese Wege geführt? Wo sind unsere Brüder? Tot, verschwunden, vom Wahnsinn verschlungen! Sag nicht, dass der Alte Weg schlecht war, nur weil er manchmal von Dunkelheit überschattet wurde!«
Velne schwieg auf diesen Ausbruch seines Freundes hin, und Maru starrte in die Flammen. Es war Zeit, auf den Grund ihrer Anwesenheit zu sprechen zu kommen. Sie wusste, was sie zu sagen hatte, aber der Bann, den Utukku auf sie gelegt hatte, verhinderte, dass sie es gerade heraus aussprechen konnte. »Es ist möglich«, sagte sie langsam, »dass sie … nicht von selbst … erwacht ist.« Sie holte tief Luft. Das war so ungeheuer schwer.
»Die Zermalmerin?«, fragte Velne überrascht.
Maru nickte. Hatten die Tochar denn gar nichts vom Schatten gehört, der die Awathani begleitete?
Velne sah sie durchdringend an. »Gib mir deine Hand, Mädchen.«
Maru zögerte. Sie wollte ihn nicht noch einmal in ihren Geist lassen.
»Keine Angst, ich habe nicht vor, dir weh zu tun«, erklärte der Alte lächelnd.
Sie reichte ihm die Hand – und schon spürte sie seine Anwesenheit. Aber dieses Mal war es mehr wie eine ferne Wolke, die über den Himmel zog und einen kühlenden Schatten warf. Da
war nichts von dem Schmerz, der sie am Mittag durchbohrt hatte. Velne murmelte einige Worte, die sie nicht verstand. Dann ließ er sie los.
»Geheimnis auf Geheimnis, wie mir scheint. Ich wusste heute Mittag schon, dass dein Vater ein Maghai gewesen sein muss, aber ich hätte nicht gedacht, dass er so stark war.«
»Du … kennst ihn?«, fragte Maru aufgeregt.
»Nein, und das ist seltsam. Ein Bruder mit solcher Macht sollte mir nicht verborgen geblieben sein. Entweder er stammt aus einem sehr fernen Land, oder er versteht die Kunst weit besser, als ich es je können werde.«
»Was hast du gesehen?«, fragte Klias
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