Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
treten.«
Klias schnaubte wieder verächtlich und ordnete einige Beeren auf einem kleinen Tuch vor dem Topf, in dem eine unansehnliche braune Brühe gärte.
Maru dachte an das, was Tasil am Mittag zu Mahas gesagt hatte, darüber, dass er Numur mit Hilfe der Maghai lenken wolle: »Und der Abeq will, dass ihr Numurs Geist … heilt?«
Velne lachte. »Wir können keine Wunder vollbringen, Nehis. Numur spricht mit den Göttern, und wer wollte so ein Gespräch stören? Allerdings vermag der Geist eines Maghai den eines schwachen Menschen zu beherrschen, vor allem in Verbindung mit gewissen Kräutern und Beeren. Wenn du keine Angst vor Gespenstern hast, kannst du sie zum Beispiel auf Grabhügeln finden«, erklärte Velne mit einem Grinsen und fuhr fort: »Du bist mutig, dass du dich zu nächtlicher Stunde an so einen verrufenen Ort heranwagst, Nehis.«
Maru zuckte mit den Schultern. »Ich glaube einfach nicht, dass diese Gräber, oder die Fürsten, die in ihnen ruhen, gefährlich sind«, sagte sie. Was der Maghai wohl sagen würde, wenn er wüsste, dass sie schon viele dieser Gräber geplündert hatte, zu jeder Tages- und Nachtzeit? Oder wusste er es etwa? Was hatte er gesehen, als er am Mittag in ihre Gedanken eingedrungen war?
»Wirklich ungewöhnlich«, murmelte Velne und betrachtete Maru nachdenklich.
»Und hier gibt es also Kräuter, mit denen ihr Numurs Gedanken lenken könnt?«, nahm Maru den Faden von Velnes Erklärungen
wieder auf. Sie wollte mehr darüber wissen, denn das war eine wichtige Sache.
Velne nickte. »Ein gefährliches Geschäft, auch wenn Klias das nicht glauben mag.«
»Es ist leicht, diesen wirren Geist zu beherrschen, viele Wochen, wenn ich will«, verteidigte sich Klias, »und ich gewinne die Dankbarkeit von Abeq Mahas. Er ist ein Pfeiler der Ordnung, die dieses Reich so dringend braucht. Er kann uns noch sehr nützlich sein.«
»Du kannst Numur über viele Wochen lenken?«, rief Maru staunend.
Klias würdigte sie keiner Antwort, also erklärte Velne: »Können? Ja. Wollen? Nein, das wäre nicht gut, weder für den Zauberer noch für den Menschen. Es wird genügen, wenn Numur für einige Tage tut, was Abeq Mahas für erforderlich hält. Der Abeq will Frieden. Wenn der erst geschlossen ist, wird man weitersehen.«
So, wie Velne den letzten Satz sagte, klang er für Maru auf eine schwer zu deutende Weise unheilvoll.
»Noch einmal frage ich dich, warum du dieser Fremden das alles erzählst«, sagte Klias mürrisch.
»Sie teilt die Gabe mit uns. Soll ich da nicht unsere Weisheit mit ihr teilen?«
»Sie ist ein Weib! Es ist gegen die Ordnung«, sagte Klias.
»Welche Ordnung meinst du, bester Klias?«, fragte Velne spöttisch.
»Gegen die Ordnung der Welt und gegen die Regeln der Bruderschaft, Velne, mein Freund. Als wenn du das nicht wüsstest!«
»Ja, die Bruderschaft, in der Tat«, murmelte der Alte lächelnd. »Ich glaube, die Brüder, die diesen Bund einst ins Leben gerufen haben, wären sehr erstaunt, dich zu sehen, Nehis.«
»Ich habe mir das nicht ausgesucht«, erwiderte Maru vorsichtig.
»Natürlich nicht. Aber stell dir diese Unordnung vor – ein Weib
in einer Bruderschaft. Sie müssten sogar den Namen deinetwegen ändern, oder?« Wieder lachte Velne als Einziger über seinen Scherz.
Maru wartete ab, bis das Lachen verebbte. Der Maghai gab sich offenbar große Mühe, freundlich und harmlos zu wirken. Aber das war er nicht. Maru erinnerte sich nur zu gut daran, dass er erst am Mittag versucht hatte, tief in ihren Geist einzudringen – und dass es ihm um Haaresbreite auch gelungen wäre.
»Ich möchte mich bei dir entschuldigen, Nehis«, sagte Velne plötzlich.
Damit hatte Maru nun nicht gerechnet. »Wofür?«, fragte sie zaghaft.
»Es ist nicht sehr höflich, in die Gedanken eines anderen Menschen einzudringen, oder?« Er zwinkerte Maru zu und fuhr fort: »Schon gar nicht, wenn dieser Mensch es auch bemerkt.«
»Wie sollte das jemand nicht bemerken?«, fragte Maru erstaunt.
Velne lachte wieder. »Die meisten spüren nichts, oder nur einen unbestimmten Kopfschmerz, aber ich glaube, bei dir war es etwas mehr, oder? Und auch dafür möchte ich mich entschuldigen. Ich füge anderen Menschen nicht gerne Schmerzen zu, wenn es nicht unbedingt sein muss.«
Maru schluckte. Damit hatte der Zauberer klargestellt, dass er es zwar nicht gerne, aber doch bestimmt wieder tun würde, wenn er es für erforderlich hielt. Betroffen starrte sie ins Feuer. Auch die Maghai schwiegen.
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