Die Tochter des Magiers
geschmeichelt zu sein, zumindest ein klein wenig,
entweder wegen seines Kompliments oder weil ein Junge seines Alters sie
›Süße‹ genannt hatte. Seine Taktik funktionierte also.
»Vor ein paar Monaten habe ich in New York einen Kerl gesehen,
der fünf- bis sechshundert Mäuse pro Tag einnahm. Er war keinen Deut
besser als du. Wie lange bist du schon in dem Gewerbe?«
»Ich bin überhaupt nicht in diesem Gewerbe.« Der Gedanke, daß
man sie für irgendeine Ausreißerin halten konnte, die sich mit kleinen
Betrügereien durchschlug, empörte Roxanne. »Ich bin Zauberin«, erklärte
sie. »Das vorhin war eine Art Probe – und noch dazu eine
bezahlte.«
»Eine Zauberin.« Sam bemerkte, daß nur noch wenige Passanten
unterwegs waren, und niemand sah so aus, als würde er ihm irgendwelche
Schwierigkeiten machen, wenn er sich die Tasche des Mädchens schnappte
und losrannte. »Zeigst du mir mal einen Trick?« Er legte eine Hand auf
ihren Arm und wollte sie gerade zu Boden stoßen.
»Roxanne!« Luke kam über die Straße gelaufen. »Was zum Teufel
treibst du hier? Du sollst längst bei der Probe sein.«
»Bin schon unterwegs«, entgegnete sie mürrisch. Sie ärgerte
sich, daß er ausgerechnet jetzt auftauchen und sie bei ihren ersten
Flirtversuchen stören mußte. »Warum bist du eigentlich
noch nicht im Club?«
»Das laß mal meine Sorge sein.« Er musterte den Tisch unter
ihrem Arm und ahnte, was sie gemacht hatte. Es fuchste ihn maßlos, daß
sie ohne ihn losgezogen war. Und bei Sams Anblick sträubten sich ihm
förmlich die Nackenhaare. »Wer ist das?«
»Ein Freund von mir«, erwiderte Roxanne impulsiv. »Sam, das
ist Luke.«
Sam lächelte unbekümmert. »Wie geht's?«
»Du bist nicht hier aus der Gegend?«
»Bin gerade erst angekommen. Ich reise so durch die Lande,
weißt du?«
»Aha.« Trotz des freundlichen Lächelns gefiel ihm dieser Kerl
gar nicht. Vor allem störte ihn sein verschlagener Blick. »Wir sind
spät dran, Roxy. Gehen wir.«
»Gleich.« Luke sollte sich bloß nicht einbilden, er könnte mit
ihr umspringen wie mit einem Baby. »Möchtest du nicht mitkommen, Sam,
und dir die Probe anschauen? Wir sind gleich da drüben im Magic Door.«
Seine Hoffnung, ihr die Tasche abzunehmen, konnte er wohl
abschreiben. Aber so leicht gab Sam nicht auf. Vielleicht zahlte sich
die Begegnung mit Roxanne auf andere Weise aus. »Das wäre toll. Meinst
du wirklich, es ist okay?«
»Na klar.« Sie nahm seine Hand und brachte ihn zu ihrem Vater.
Sam gab sich freundlich, liebenswürdig und
verstand es bestens, seinen Charme einzusetzen. Während der Probe
applaudierte er begeistert, zeigte sich ungläubig erstaunt und lachte
stets an den richtigen Stellen.
Als Lily ihn zum Essen einlud, nahm er mit schüchterner
Dankbarkeit an.
Er fand LeClerc alt und dumm, Mouse vertrottelt und
beschränkt – und gab sich gewaltige Mühe, auf beide einen
guten Eindruck zu machen.
Anschließend verzog er sich für den Rest des Tages, damit er
nicht zu aufdringlich erschien. Als er später im Magic Door erschien,
um sich die Vorstellung anzuschauen, wurde er herzlich begrüßt. Er
sorgte dafür, daß Lily sah, wie er zögernd etwas Kleingeld abzählte, um
ein Getränk zu bezahlen.
»Max.« Sie zupfte an seinem Ärmel, als er hinter die Bühne
kam, während Luke allein seine Taschenspielereien vorführte. »Dieser
Junge steckt in Schwierigkeiten.«
»Luke?«
»Nein, nein. Sam.«
»Einen Jungen kann man ihn kaum mehr nennen, Lily. Er ist fast
ein Mann.«
»Er ist nicht viel älter als Luke.« Sie spähte nach draußen
und sah, daß Sam an der Bar immer noch an seinem ersten Coke nippte.
»Ich glaube nicht, daß er Geld hat, und bestimmt weiß er auch nicht,
wohin.«
»Er scheint nicht gerade nach Arbeit zu suchen.« Max wußte
selbst nicht recht, warum es ihm so widerstrebte, seine Hilfe
anzubieten.
»Schatz, eine Arbeit zu finden ist heutzutage nicht leicht.
Könntest du ihm nicht was besorgen?«
»Vielleicht. Laß mir einen oder zwei Tage Zeit.«
Einen oder zwei Tage war alles, was Sam brauchte. Um ein wenig
nachzuhelfen, rollte er sich in der Nacht im Hof der Nouvelles
zusammen, so daß man ihn am Morgen dort entdecken müßte.
Obwohl er hellwach war, beobachtete er mit halb geschlossenen
Augen, wie Roxanne aus der Küchentür kam. Er stöhnte, bewegte sich und
fuhr scheinbar erschrocken auf, als sie ihn erblickte.
»Was machst du denn da?«
»Nichts.« Verlegen rollte er seine zerschlissene Decke
zusammen.
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